Mama Dolorosa auf der Biennale

Ach neige, du Schmerzensreiche…

von kulturvollzug

Mama Dolorosa. Foto: Regine Koerner

...so wird bestimmt noch die eine oder andere Kritik zu “Mama Dolorosa” überschrieben sein, der zweiten großen Oper der diesjährigen Münchener Biennale, die am Samstag ihre Uraufführung im Carl-Orff-Saal des Gasteigs in München erlebte. Geht es in  Wirklichkeit um das Orchestersterben? Um das Ende von Kultur? - Es ist auf jeden Fall spannender als ein "Ring des Nibelungen".

“Mama Dolorosa” also, die erfundene Geschichte einer wahren Schmerzensmutter wird hier erzählt, “eine Momentaufnahme aus dem Interieur moderner Urbanität” (Programmheft). Und diese Mama muss sich in der Inszenierung von Yona Kim auch sehr oft kummervoll neigen und am Boden wälzen, denn die Mama, gesungen von Rebecca Nelsen, hat da leider einen richtigen Schreckensbalg geboren, nach zwei Abtreibungen (um ja kein Mädchen zu bekommen), ein verzogenes Einzelkind, dass hurend und mordend durch die Großstadt zieht und daher in diesem Stück auch zur Strafe weder singen noch sprechen darf.

Eine typisch koreanische Geschichte also, aus einem Land in dem sicherlich nach wie vor sehr patriarchalisch gedacht wird? Nicht nur, denn es geht natürlich um uns alle! Auch bei uns gilt: “Nur Söhne sind Stütze, der Fels in der Brandung, in Familie und Staat übereinstimmend als Stammhalter und Besitzer anerkannt” (Yona Kim, Regisseurin und Librettistin).

Komponiert hat das sehr gekonnt Eunyoung Kim, mit einer an Klängen und Gesten reichen musikalischen Sprache, die sich immer wieder in manisch pulsierende Passagen verdichtet. Zwischendrin bleibt gelegentlich “die Zeit stehen”, sehr oft mittels sehr hoher und enger Intervalle im Akkordeon (das auch stets als Solo-Instrument im von Sebastian Beckedorf unsichtbar hinter einem Vorhang geleiteten Braunschweiger Staatsorchester dominiert) oder extrem tiefem Grummeln. Tatsächlich fällt die Sängerbehandlung ein wenig ab gegenüber dieser gelungenen Instrumentalphantasie, allgemein herrscht der typisch affektierte “Pierrot Lunaire”–Ton vor, der seit nun fast 100 Jahren die zeitgenössische Opernästhetik dominiert.

Reden irgendwelche Menschen tatsächlich so? Machen Menschen ständig unmotivierte Pausen beim Sprechen, verschleifen sie die Silben in glissandi, dehnen sie künstlich das Ende von Worten, gehen bei Fragen mit der Stimme abwärts, ansonsten immer hinauf am Satzende? Was bei den exaltiert übersteigerten Visionen des Pierrot Sinn machte, entfremdet einem hier die Darsteller, die ja eigentlich “wir” sein sollen.

Vielleicht von dieser Grundstimmung angeregt, betont die Regisseurin das Absurde und Übersteigerte. Am Anfang sehen wir mehrere Mütterlein mit auf den Rücken gebundenen Babys auf die Bühne schleichen – das gemahnt an die Ästhetik von koreanischen Horrorfilmen und wirkt tatsächlich sehr unheimlich (Kostüme: Hugo Holger Schneider). In diesen Filmen werden gerne Haare als grauslich thematisiert (zum Beispiel in “Ju-On”), deswegen haben in “Mama Dolorosa” auch alle weiblichen Darsteller seltsame Pudelperücken an. Die Handlung wird immer wieder von kurzen instrumentalen Zwischenspielen unterbrochen, in der die Bühne jeweils hektisch umgeräumt wird, um danach exakt gleich auszusehen!

Ein Fanal urbaner und ins Leere laufender Geschäftigkeit (Bühne: Ben Baur, Licht: Frank Kaster). Dennoch füllt sich alles unmerklich mit Zivilisationsschutt, darunter auffallend viele Musikinstrumente, die – zum Teil wie bei Christo verpackt – von den Protagonisten mahnend in die Luft gehalten werden. Immer wieder flüchten sich die Darsteller in eine Art Telefonzelle, die vielleicht auch eine Wichskabine in einer Peepshow sein könnte.

Mama Dolorosa und ihr Pudel – nein, es ist die Großmutter! (Countertenor: Daniel Gloger) – reden sich dabei die ganze Zeit ein, der ersehnte Sohn sei nicht missraten sondern eigentlich ganz ok. Das glauben wir auch als Zuschauer, denn da der böse Sohn (Philipp Grimm) weder singt noch spricht ist er einem ziemlich sympathisch, da er von allen auf der Bühne am normalsten wirkt - wenn er nicht gerade ein Messer zückt.

Und wer weiß, vielleicht ist er auch gar nicht der Mörder, sondern stattdessen der fiese Machokomissar (Christian Miedl), der am Ende die Schmerzensmama sogar noch hernimmt, nachdem er ihren Sohn überführt hat? Ver- oder überführen – egal! Überhaupt ist Sex ein ständiges Thema, vor allem wenn die Nachbarin (Julia Rutigliano mit großer Verve) und ihr Mädel (Simone Lichtenstein) bei der Schmerzensmama vorbeischauen.

Dass das nicht gut ausgehen kann, ist klar. Am Ende steigert sich das Orchester in einen Rausch hinein und zum ersten Mal wird der Vorhang (vor dem bisher alles stattfand) gewaltsam gelüftet – und in einem wirklich gelungenen Schockeffekt sehen wir, dass die Stühle auf denen wir das Orchester vermuteten und bis eben noch hörten… leer sind! Irgendwann gegen Ende des Stückes wurde das Orchester also durch ein virtuelles Orchester – vom Band – ersetzt, und wir haben es noch nicht einnmal gemerkt. Tatsächlich ein fantastisch realisierter Effekt mit einem seltsamen Nebengeschmack in einer Zeit der Orchesterkürzungen. Dass der verzogene Junge daneben wie ein Zombie am Glockenseil erhängt baumelt ist daher auch nur konsequent und dementsprechend auch das Ende.

Ein widersprüchlicher Abend also – geht es um das Orchestersterben? Um das Ende von Kultur? Um die Verruchtheit des Patriarchats? Um das Absurde im Alltäglichen? Um die Gewalt in den eigenen vier Wänden? Um Lug und Trug und Mord und Totschlag?

Die Antwort ist wahrscheinlich zu allem: ja! Und egal wie man dazu stehen mag – das ist auf jeden Fall spannender, gegenwärtiger und eindringlicher als die fünfhunderttausendste Inszenierung des “Rings der Nibelungen”.

Und genau dafür brauchen wir sie, die Münchener Biennale.

Moritz Eggert

Veröffentlicht am: 10.05.2012

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