Im schwarzen Herz der Sehnsüchte: Mit „Alles nur Liebe“ bringen Regisseur Andreas Kriegenburg und sein fabelhaftes Ensemble ein schwebend leichtes und zugleich todtrauriges Theater in die Kammerspiele

von kulturvollzug

Nur Liebe: Sylvana Krappatsch, Edmund Telgenkämpfer. Foto: Kammerspiele / Arno Declair

Zur Liebe gehören zwei. Denkt man. Aber häufig lodert sie auch in der Einsamkeit, in den verzweifelten und oft enttäuschten Versuchen, eine Zweisamkeit zu finden. Diesem tragikomischen Aspekt widmen Andreas Kriegenburg und seine acht Schauspieler ihr Projekt „Alles nur der Liebe wegen“, das in den Kammerspielen uraufgeführt wurde. Der Regisseur und sein fabelhaftes Ensemble wurden für diese melankomisch flirrenden drei Stunden mit großem Applaus gefeiert.

„Entschuldigen Sie bitte, würden Sie mir ein Lächeln schenken? Mir einen Stern vom Himmel holen? Auf meine Mailbox lachen? Darf ich Sie um den Rest Ihres Lebens bitten?“ Wiebke Puls adressiert zu Beginn ihre Wünsche direkt an die Zuschauer und bleibt ihnen am Ende die Rückfragen nicht schuldig. Damit eröffnet sie einen Bilderreigen, der mit absurder (Alb-)Traumlogik ins schwarze Herz der Sehnsüchte und des Liebeshungers führt.

Was die Schauspieler mit Andreas Kriegenburg (Regie und Bühne) an Texten und Szenen erarbeitet haben, ist ein an Botho Strauß erinnerndes, mit elegischer Heiterkeit grundiertes Szenenmosaik. In der Stunde, in der sie noch nichts voneinander wissen, treffen Passanten, die gern Paare würden, aufeinander. Im feudalen Foyer eines Schloss-Museums: rosa Marmor-Wände, große Flügeltüren, neoklassizistische Säulen, erblindete hohe Spiegel-Fenster. Die Hallendecke kann sich per Zug an Kordeln plötzlich drehen, um Rückwand und Projektionsfläche zu werden. Was den Menschen im Kopf umgeht, macht Stefan Merki als Gedankenlauscher fürs Publikum hörbar: Wenn er sich ihnen zuneigt, hören wir ihre privat gemurmelten Ängste und Wünsche, Sorgen und Hoffnungen.

Ein alter Mann (Walter Hess) wartet seit 32 Jahren jeden Donnerstag hier auf seine Geliebte, die nie kommt. Eine mondäne junge Frau (Lena Lauzemis) schleppt ihn am Ende mehr als handgreiflich ab. Wiebke Puls dramatisiert hochkomisch die Angst vor Alter und Schönheitsverlust, als Exhibitionistin zieht sie später einen Totalneurotiker (Oliver Mallison) an der Strumpfhose hinter sich her. Sylvana Krappatsch und Edmund Telgenkämper verschlingen sich symbiotisch-akrobatisch im gegenseitigen Entkleiden und malen sich das Ehe-Bekenntnis „Ja“ auf jeden freien Körperteil - nicht, ohne dazwischen den Stift zu spitzen. Sie nehmen sich buchstäblich in Besitz.

Die anderen sind in ihrem Glücksstreben weniger erfolgreich. Annette Paulmann mit ihrem trockenen Humor holt sich im Scheitern die meisten Lacher: Am Ende erlebt sie in einem monströsen roten Tutu noch mal eine Kindheits-Demütigung. Glanzstück der Ensemble-Szenen ist die Tanzstunde: Da stürzen Männer und Frauen wild aufeinander zu. Doch schon nach dem ersten Takt sind ihre Füße über Kreuz, die versuchte Harmonie mündet immer wieder in lautstarkem Disput. Bis ein Paar über alles Geschrei hinweg ganz nebenbei doch den Walzer schafft. Grandios grausam und grotesk ist auch das Partner-Casting, bei dem sich tanzend alle zum Affen wahlweise Gockel oder Häschen machen.

Der Abend hat Längen, ist aber nie langweilig. Nur die Show-Einlage der das Publikum mit Umarmungen beglückenden Tombola könnte man sich trotz Stefan Merki als wunderbarem Entertainer sparen. Spaß macht dafür ein schönes Taschenlampenballett. Und die Musik, die zart bis überwältigend den Abend rhythmisiert, von Jazz-Standards wie „Mr. Bojangles“ und „What A Wonderful World“ bis Schostakowitsch. Licht, Musik und wunderbare Ensemble-Arbeit fügen sich hier zu einer hochmusikalischen, poetischen Theaterpartitur, die schwebend leicht zugleich todtraurig und hochkomisch ist. Und am Ende auch noch den Traum vom Fliegen verwirklicht.

Gabriella Lorenz

Kammerspiele, 11., 17., 25., 31. Dez., 6., 13., 17., 19., 23., 30. Jan., Tel. 233 966 00

Veröffentlicht am: 08.12.2010

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