Amerikanische Bürgerproteste im Foto
Brodeln in der Wiege der Freiheit
Die Ausstellung "Occupy Wall Street/Occupy Boston" dokumentiert den friedlichen Protest einer Bewegung in der Stadt an der amerikanischen Ostküste.
"Niemand ist mehr Sklave, als der sich für frei hält, ohne es zu sein", heißt es in Goethes Wahlverwandschaften.
Die stetig wachsende Kluft zwischen Arm umd Reich, der Arbeitsmarkt, die Finanzkrise, aus der niemand von den Akteuren wirklich etwas gelernt hat, dubiose Bankgeschäfte geheimbündlerischer Spekulanten und Aktienjongleure, auch die eigene Wohnsituation - kurzum: Bei vielen Menschen steigerte sich das Gefühl, ihr Leben nicht mehr selbst bestimmen und gestalten zu können. Der Druck, der sich immer stärker aufbaute, brauchte ein Ventil.
Initiiert durch die Zeitschrift Adbusters besetzten am 17. September 2011 etwa 1000 Menschen den Zuccotti Park und die Wall Street im New Yorker Stadtteil Lower Manhattan. Die Occupy-Bewegung war in der Welt und verbreitete sich rasch in den Vereinigten Staaten und Europa. In Boston wurde am 28. September 2011 der Deway Squere in Beschlag genommen und eine Zeltstadt errichtet. Viele Menschen hatten sich aus ganz unterschiedlichen Gründen zusammengefunden. Geschlecht oder Alter, politische Überzeugung oder wirtschaftlicher Hintergrund, auch die sexuelle Orientierung spielten keine Rolle. Man war geborgen in einer Gemeinschaft und konnte endlich über all das reden, was an Unzufriedenheit und Frustration seit Jahren auf der Seele lastete. Stahlarbeiter waren darunter, Anzugträger, Künstler und die Krankenschwester, deren Gehalt nicht ausreicht, um sich eine eigene Krankenversicherung zu leisten. Ein Medizinzelt gab es und der Strom für das Dorf wurde ökologisch durch Fahrrad-Generationen erzeugt. Jeder durfte mal treten.
Auch wenn der Protest weitgegehend friedlich verlief, wurde er von der Ordnungskräften doch argwöhnisch beäugt. Bis an die Zähne armierte Beamte machten Videoaufnahmen vom Geschehen und langten auch schon mal rustikal hin, wenn sie der Meinung waren, das bräuchte es. Es gab Festnahmen. Ein Priester sammelte Spenden, um inhaftierte Demonstranten freizukaufen oder Kautionen zu stellen.
So weit, so gut. Bis hierher unterschied sich die Geschichte in Boston nicht wesentlich von den Aktionen in anderen Städten. Aber Occupy Boston ist untypisch, denn die Bewegung ist nicht, wie andere, gestorben, sondern lebt weiter. Zwar gibt es das Zeltdorf nicht mehr, aber das Selbstbewusstsein der Menschen ist geblieben. Bis heute formiert sich immer wieder Protest, wenn den Menschen in Politik und Wirtschaft etwas nicht gefällt. Ein Bild aus dem Jahr 2012 beweist, dass es weitergeht.
Zwölf Fotografen und zehn Videofilmer präsentieren in der Ausstellung ein vielschichtiges, differenziertes Bild der Bewegung, der Zeltstadt, der Aktionen und auch der Konfrontationen mit der Polizei. Die Aufnahmen dokumentieren, wie "Geschichte passiert", wie es die Dokumentarfotografin X Bonnie Woods, die Kuratorin der Ausstellung, formuliert.
Protestbewegungen haben in Boston eine bis ins 18. Jahrhundert zurückreichende Geschichte. An die Boston Tea Party wird sich jeder aus Lektionen in der der Schulzeit erinnern. "Wiege der Freiheit" wird die Stadt auch genannt. Die Ausstellung demonstriert bered, das sich das bis heute nicht geändert hat.
Bis zum 15. März 2013 im Amerika Haus, Karolinenplatz 3, 2.OG, in München, Mo-Fr. 10-17 Uhr, Mi bis 20 Uhr, Eintritt frei