Interview mit Chad Urmston von State Radio
„Das was dich bedrückt einfach wegspringen“
State Radio: Mike Najarian, Chad Urmston und da wo die Orange ist, gehört eigentlich Chuck Fay hin. Alle Fotos: Oliver Schwabe
Chad Urmston, der Frontmann von State Radio erkennt uns sofort und spricht uns, ohne groß zu überlegen, mit Vornamen an. Noch im Januar hat er mit seiner Band Dispatch in München gespielt und uns ein Interview gegeben. Heute, keine zwei Monate später, tritt er auch mit seinem Nebenprojekt State Radio im Backstage auf. Selten trifft man so unprätentiöse, geerdete Künstler. Chad entschuldigt seine Bandmitglieder: Bassist Chuck Fay muss sich anziehen und zum Soundcheck; Schlagzeuger Mike Najarian schläft schon den ganzen Tag, keine Ahnung ob der noch auftaucht. Ein Interview, ein bisschen wie in einer Studenten-WG - nur spannender.
Denn die Band aus Boston hat viel zu erzählen. State Radio macht eine Mischung aus Reggae und Rock und lässt sich in den Texten von Politik und Gesellschaft inspirieren. Ihre Musik will die Dinge widerspiegeln, die falsch laufen in der Welt. Später am Abend im Backstage werden junge, verschwitzte Männer aus dem Publikum auf die Bühne klettern und herunterspringen, um sich vom Publikum auf Händen tragen zu lassen. Die ersten Reihen werden wild herum- und sich gegenseitig anspringen, ihrem Unmut und ihrer Wut Ausdruck verleihen. Kaum zu glauben, dass die Band selbst so entspannt ist.
Chad, wie ist es, so schnell wieder zurück in München zu sein?
Es fühlt sich an, als wäre ich nie weg gewesen. Es ist cool, vor allem weil wir ursprünglich in der kleineren Halle spielen sollten und jetzt in der größeren spielen können, das ist super! Das jetzt ist die perfekte Größe. Du kannst immer noch fast jeden sehen und es ist zwar aufregend aber nicht so groß, dass du den Bezug zu den Leuten verlierst.
Auch heute ist das Konzert wieder ausverkauft, genauso wie das Dispatch-Konzert im Januar. Wie fühlt es sich an mit Ihren beiden Bands in Europa so erfolgreich zu sein und so geliebt zu werden?
Das fühlt sich toll an! Weil wir mit State Radio so lange nicht mehr hier gespielt haben, waren wir uns nicht sicher ob die Leute dran bleiben, weil das Konzert ja auch vom letzten Herbst auf jetzt verschoben wurde. Es ist toll, dass die Leute immer noch treu und interessiert sind. Wir haben sogar in den USA länger nicht mehr gespielt. Chuck und ich haben beide kleine Mädchen bekommen, da ändert sich dein Leben ein bisschen, du konzentrierst dich auf andere Dinge; dann wissen wir nicht ob die Leute uns treu bleiben und das neue Album mögen, aber es scheint so, und wir schätzen uns sehr glücklich.
State Radio ist eine politisch sehr aktive Band. Sie haben beispielsweise das Projekt "Calling All Crows" ins Leben gerufen, um Künstler und Fans in den Städten, in denen sie touren, zusammenzutrommeln um sinnvolle Dinge zu tun, statt nur herumzureisen und nichts als Hotelzimmer zu sehen. Was genau sind das dann für Dinge, die Sie im Rahmen dieses Projektes tun?
Wir machen viel mit Amnesty International, Greenpeace oder Oxfam zusammen, je nachdem wo etwas zu tun ist. Am 15. März zum Beispiel gehen wir gemeinsam mit Fans zum Haus der Demokratie und Menschenrechte in Berlin und geben dort persönlich Briefe ab, in denen wir uns für die Rechte von Menschen auf der Welt einsetzen, die zu schwach sind um für sich selbst zu sprechen. Das haben wir schon oft gemacht
An welche witzigen oder tollen Erfahrungen erinnern Sie sich, wenn Sie solche Aktionen machen?
Wir haben einmal einen Spielplatz aufgeräumt und dabei einen Jungen kennengelernt, der dann am Abend mit uns auf der Bühne gelandet ist. Das ist das Tolle: Einfach neue Leute kennen zu lernen. In den Staaten haben wir in letzter Zeit die Ehe zwischen Homosexuellen unterstützt. Das ist lustig, wir stellen uns mit Plakaten an Straßenecken, auf denen steht: "Hupt für die Homo-Ehe!" oder so. Es gab ein grundlegendes Umdenken in letzter Zeit, was das betrifft in Amerika, ich habe das Gefühl die Mehrheit der Amerikaner hat sich da besonnen und deshalb hat das echt Spaß gemacht. Ab und zu bekommen wir die Mittelfinger von Leuten zu sehen oder sie schreien uns aus ihren Trucks an; aber meistens hupen sie, sogar in manchen sehr… interessanten Ecken. (lacht)
Was verbirgt sich hinter dem Titel des neuen Albums "Rabbit Inn Rebellion"?
In den 70er Jahren wurde eine Gruppe von Jugendlichen im Süden von Boston von der Polizei verfolgt. Die Teenager sind in diese Bar geflüchtet, die "Rabbit Inn" hieß, wo die Besitzer sie vor der Polizei versteckt gehalten haben. Die Polizisten waren so wütend darüber, dass sie am nächsten Abend zurück kamen und alle in der Bar verprügelten und die Bar selbst zerstörten. Auf diesen Vorfall bezieht sich der Titel. Und es ist ganz witzig, im Booklet des Albums ist das Foto einer Tür über der steht: "Rabbit Inn". Aber diese Tür steht im Hamburg, wir haben das "Rabbit Inn" nur darüber angebracht.
Warum gerade diese Tür?
Weil sie einfach so cool aussieht. Ich liebe das Foto, auf der Tür ist überall Graffiti und so haben wir im Prinzip unser eigenes "Rabbit Inn" geschaffen.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Sie alles das, was in der Gesellschaft oder auf der Welt fasch läuft, einbauen in Ihre Arbeit bei State Radio. Überhaupt beschäftigt sich die Band in ihren Texten extrem intensiv mit politischen und sozialen Themen. Gleichzeitig wirken Sie als Person immer unglaublich ausgeglichen und positiv. Was ist Ihr Geheimnis, nicht depressiv zu werden?
(lacht) Ich glaube genau das, weil ich eben in der Lage bin das alles zu verarbeiten und auszudrücken, das ist das Geheimnis. Ein Künstler zu sein und eine Art Ventil zu haben für die Wut und Frustration ist wirklich sehr hilfreich. Das ist witzig, denn das ist genau der Unterschied zwischen Dispatch und State Radio. Mit Dispatch ist es einfach insgesamt eine fröhlichere Show, mehr wie eine Lagerfeuer-Akustik-Stimmung; und State Radio-Shows drücken eben mehr die Frustration in der Welt aus. State Radio ist also politischer aufgeladen als Dispatch und deshalb ist die Musik an sich auch schwerer. Dispatch ist eher Wohlfühl-Show und ich denke die besten Shows mit State Radio sind die, wo es chaotischer abläuft und du alles das, was dich bedrückt körperlich loslässt, also einfach wegspringst.
Wie ist es für Sie persönlich zwischen den beiden Bands zu wechseln?
Chuck und Mike sind so anders als Brad und Pete (von Dispatch; Anm. d. Red.) was die Art angeht, wie sie spielen. Alles ist einfach lauter. Ich denke darin liegt die Katharsis für mich: State Radio bedeutet einfach aufdrehen, laut sein und rocken. Wenn ich also Songs schreibe ist es so, dass die Lieder mir sagen in welche Richtung sie gehen wollen. Wenn also ein Lied eher fröhlich ist und mit Harmonien arbeitet, dann gehört es irgendwie in die Dispatch-Welt und wenn es politisch aufgeladen ist und eine schwerere Botschaft hat, dann geht es in Richtung State Radio.
Versuchen Sie auf diese Weise die Politik aus der Band Dispatch herauszuhalten?
Irgendwie schon, denn ich weiß dass die Jungs nicht so links sind wie ich. Das ergibt Spannung und das ist auch frustrierend für mich. Aber gleichzeitig sind wir auch älter geworden und ich akzeptiere sie jetzt so wie sie sind. Aber ich kann mich über gewisse Sachen total aufregen, deshalb ist es eine Erleichterung dann mit Chuck und Mike zusammen zu sein, die so links denken wie ich, denn dann fühlt es sich so an, als könnten wir sagen was wir wollen.
In einem Interview mit dem Schlagzeuger Mike Najarian habe ich gelesen, dass für ihn das deutsche Publikum die Rowdys unter den Fans sind. Geht Ihnen das auch so, wie genau äußert sich das?
Das deutsche Publikum schafft eine grandiose Energie, das geht – Boom – einfach so, aus dem Nichts, da wird dann rumgesprungen und so weiter. Die T-Shirts sind am Ende nasser geschwitzt als unsere und wir fragen uns: Wie konnten die Leute uns jetzt so ausstechen, wir müssen härter arbeiten! (lacht) Wir werden sehen wie es heute Abend ist, aber wenn nicht plötzlich die ganze Nation allgemein ruhiger geworden ist, dann hoffe ich, dass es auch heute wieder so laufen wird.
Das Lied „Camilo“ handelt von einem amerikanischen Soldaten, der sich weigert zurück in den Krieg nach Irak zu ziehen und deshalb ins Gefängnis muss. Bekommen Sie irgendwelche Reaktionen, irgendein Feedback bezüglich solcher Lieder von Soldaten mit?
Meistens heißt es: „Vielen Dank, dass du dieses Lied geschrieben hast, als ich im Irak war, habe ich ständig State Radio gehört.“ Wir bekommen auch viele Briefe von Soldaten und für mich war es eine einzigartige Erfahrung mit Veteranen zu sprechen, mit Menschen, die aus Afghanistan oder dem Irak zurück gekommen sind, weil ich einfach dieses Opfer das sie gebracht haben so bewundere.
Oliver Schwabe / Eveline Kubitz