Foto-Reportage von Andrea Diefenbach im Stadtmuseum
Einsamkeit hier und dort
Die starke Ausstellung "Land ohne Eltern" mit Fotografien von Andrea Diefenbach im Forum 029 des Münchner Stadtmuseums beleuchtet das Schicksal moldawischer Arbeitsemigranten und ihrer Familien.
Ohne Telefon wäre es noch schlimmer. Irgendwo in Moldawien, einem der ärmsten Länder Europas und kein Mitglied der Europäischen Union, steht ein kleines Mädchen auf einem Stuhl in der Küche und telefoniert mit ihren Eltern. Das ist an sich nicht ungewöhnlich. Nur, dass die Eltern vor langer Zeit nach Italien gegangen sind, um dort zu arbeiten. Und dass sich Kind und Eltern seit Jahren nicht gesehen haben.
2008 lernte die Fotografin Andrea Diefenbach, die in Wiesbaden lebt und arbeitet, in einem kleinen Dorf im Süden Moldawiens eine Grundschullehrerin kennen, die ihr vom Ausbluten der ländlichen Gemeinden erzählte. Die Erwachsenen, die daheim kaum Aussicht auf Arbeit und Einkommen haben, gingen nach Russland oder nach Westeuropa. In ihrer Klasse fragte die Lehrerin ihre Schüler: "Wessen Eltern leben in Italien?", erzählt die Fotografin im Gespräch. Mehr als zwei Drittel der Erstklässler hob die Hand. Andrea Diefenbach begann, ein Fotoprojekt zu dem Thema zu entwickeln.
Es ist pure Not, welche die Menschen aus der strukturschwachen Republik Moldau - so die offizielle Bezeichnung - auf der Suche nach Arbeit nach Westeuropa treibt. Italien bietet sich hier schon der Sprache wegen an. Auch das Moldawische gehört zum romanischen Sprachstamm und ist verhältnismässig leicht zu erlernen. Die meisten gehen illegal, zahlen Unsummen an Schlepper, die sie über die Grenze bringen. Sie finden schlecht bezahlte Jobs in der Altenpflege, als Industriearbeiter, Erntehelfer oder Putzhilfen. Oft sind sie nicht angemeldet, nicht krankenversichert. Zurück bleiben die Kinder, die von Großeltern, älteren Geschwistern oder auch Nachbarn umsorgt werden.
Erhalten die Eltern, was nicht so selten ist, in Italien keinen leganlen Status, sind Besuche in der Heimat oder gar ein Nachholen der Kinder unmöglich. So kommt es, dass sich Familien seit mehr als acht Jahren nicht gesehen haben. Die Familien entfremden sich, die Beziehung der Eltern zerbricht zuweilen und damit die Familie. Ein Land ohne Eltern.
Die in der Ausstellung gezeigte Bilderserie entstand 2008 und 2009 in der moldawischen Provinz und der italienischen Po-Ebene. Eindringlich, aber ohne Pathos oder gar Gefühlsduselei, zeigen die Aufnahmen getrennte Welten: Die in der Heimat zurückgebliebenen Kinder auf der einen Seite, die in der Ferne arbeitenden Eltern auf der anderen. Es sind Bilder voller Einsamkeit, Vermissen und Trauer, getragen von Respekt und Sympathie für die abgebildeten Personen und ihre Lebensumstände. Die von Lisa Springer zusammengestellte Schau stellt das klug gegenüber. Das Ergebnis beeindruckt.
Bis zum 14. Juli 2013 im Forum 029 des Münchner Stadtmuseums, St.-Jakobs-Platz 1 in München, täglich außer Mo 10-18 Uhr. Im Kehrer-Verlag ist ein Begleitbuch erschienen.