Die Wirklichkeit ist ähnlich oder: Das Gesicht in der Torte
"Archäologie der Ähnlichkeit" - Die Galerie Karin Sachs in München zeigt sechs neuere Arbeiten von Via Lewandowsky
Irgendwann zwischen 1404 und 1438 soll es gewesen sein, als in Norditalien ein Schriftstück entstand auf 116 beidseitig beschriebenen Pergamentseiten, geschrieben in einer unbekannten Schrift und Sprache: das Voynich-Manuskript, benannt nach Wilfried Michael Voynich, der es 1912 erwarb. Mit Ausnahme weniger Zeichen, zu denen die Buchstaben A, K, O und Y zählen, konnte der Text bis heute nicht entschlüsselt werden.
In seiner 2010 entstandenen Leuchtschrift stellt Via Lewandowsky das alltägliche, überall gebräuchliche Wort "okay" in den Zeichen des Voynich-Manuskriptes dar und macht es so für den Betrachter unlesbar, undeutbar zunächst. Doch bei näherer Betrachtung ergeben sich Ähnlichkeiten, Deutungsmöglichkeiten, Erkenntnisse.
Volker Via Lewandowsky, 1963 in Dresden geboren, arbeitet mit so unterschiedlichen künstlerischen Mitteln wie der Performance, Malerei, Objektkunst oder Fotografie. Zu seinen bedeutenstens Werken gehört die Demokratieglocke, ein goldfarbenes Ei mit Glockenspiel, das auf dem Augustusplatz in Leipzig an die Montagsdemonstrationen, an die friedliche Revolution von 1989 erinnert.
In den in der Ausstellung gezeigten Werken beschäftigt sich der Künstler mit der Täuschung des Blicks, der Irreführung von Gedanken und Fantasie, mit Widerspruch und Unvereinbarkeit. Ihn fasziniert, wie er selbst sagt, "die Schönheit des Missverständnisses und des Scheiterns". Der Titel der Ausstellung scheint einem in der modernen Altertumswissenschaft gebräuchlichen Begriff entliehen, mit dem die computergestützte Katalogisierung ähnlicher Fundstücke bezeichnet wird.
Aus einer Torte prangt dem Betrachter ein Gesicht entgegen, plastisch hervorgehoben, nicht etwa als "Negativ-Abdruck", die nicht genommene Totenmaske. "Eine Konstruktion von Unmöglichem", wie Lewandowsky sagt, "man sieht hier etwas, was man so eigentlich nicht sehen kann". Eine Täuschung, eine Irreführung der Sinne, da es der Betrachter zunächst anders erwartet, da seine Wahrnehmung genau auf das Gegenteil dessen, was er gerade sieht, getrimmt ist.
Durchgebrannte Leinwände in dem aus 11 Bildern bestehenden Werk From Oil to Gas, Rauhfasertapete mit entfernt plaziertem Einweckglas, darin Fasern bei Bis zur letzten Faser von 2010, einer großflächigen Installation. Kupferrohre, wie sie beim Heizungsbau verwendet werden, verknäueln sich in der Installation Schon wieder hat Vati den Faden verloren von 2011 im Chaos.
Zu Unrecht verschwindet in der Ausstellung in einem Nebenraum die kleine, an die Wand gehängte Holzfigur, die den Dynamitgürtel um die Hüfte trägt, bereit und auf dem Weg zu den himmlischen Jungfrauen, die im Jenseits versprochen sind. Gegenpol vielleicht zum Gekreuzigten.
Das, was man in der kleinen Ausstellung mit nur wenigen Exponaten sehen kann, ist intensiv, rätselhaft, komisch, ironisch, anregend - und sündhaft teuer zu erwerben. Ideen und ihre Ausführung haben ihren Preis.
Anschauen lohnt sich.
Die gezeigten Fotos entstanden mit freundlicher Genehmigung der Galeristin Karin Sachs, wofür wir uns bedanken.
Die Ausstellung ist noch bis zum 3. März in der Galerie Karin Sachs, Augustenstraße 48 in München, Di. - Fr. 13 - 18 Uhr, Sa 12 - 16 Uhr und nach Vereinbarung zu sehen. Der Eintritt ist frei. Tel. 089-201 12 50