Ein Ritter spielt die Luftgitarre
Hands up: Ariodante (Olivia Vermeulen) sorgt auf seiner Verlobungsparty für Stimmung. Foto: Cosi facciamo
Das Böse scheitert, und das Gute in Gestalt weiser Staatsführung und der Liebe obsiegt – und dazwischen wird wunderbar gesungen und musiziert: Händels „Ariodante“ ist in der Inszenierung von Kobie van Rensburg am Cuvillés-Theater als funkelndes Barockjuwel neu zu erleben.
Man schießt nicht auf den Mann am Klavier, so viel weiß man aus dem Western. Ob sich derlei auch auf den Dirigenten bezieht, weiß Hans Huyssen nicht. Weswegen er dem mit Pistole unterstrichenem Befehl des Herzogs Polinesso lieber Folge leistet und sich vom Rand der Bühne hinunter in den Orchestergraben begibt. Auf dass es endlich losgehen möge mit Händels „Ariodante“, jener tief romantischen und hoch dramatischen Barockoper, mit tapferem Ritter und schöner Königstochter.
Es sind solche Einfälle von Regisseur Kobie van Rensburg, die den „Ariodante“ trotz seiner drei Stunden zur leichten Kost machen. Mitklatschen in der Oper? Wo gibt’s denn so etwas? Ja, zum Beispiel, wenn die hinreißende Olivia Vermeulen als Ariodante zur Verlobungsparty singt und Luftgitarre spielt.
Und der alte Händel sieht beifällig zu: Dalinda (Gudrun Sidonie Otto) und Ginevra (Mandie de Villiers-Schutte) bestens aufgelegt. Foto: Cosi facciamo
Kobie van Rensburg, der kürzlich erst in Landshut und Passau mit seiner sinnlichen Inszenierung von Monteverdis „Incoronazione di Poppea“ einen auch überregional gepriesenen Erfolg feierte, lässt sich auch für „Ariodante“ eine bildersatte Bühne einfallen. Eine Leinwand ersetzt umständliche Aufbauten, auf sie werden Treppenflucht, Kirchenraum und Wald projiziert. Nebenbei löst van Rensburg so das Problem der leidigen Untertitel, die in einer Opera Seria fürs Verständnis unerlässlich sind: Sie werden effektvoll unter Gewölbebogen und auf Saalwände gezaubert, wie das Mene Tekel erscheinen sie von unsichtbarer Hand gezeichnet auf dem Mauerwerk, mit oftmals sehr irdischem Ton, wenn das Italienische ganz frei ins Deutsche übersetzt wird. "Schnauze!" herrscht Dalinda einmal den unglücklichen Lurciano an.
Schirme spielen eine wichtige Rolle, als Versteck, als Waffe und als Raumdekor – klar, in Schottland regnet's ja meistens. Da, dies aber nur als Anmerkung am Rande, lässt van Rensburg seinem Bildnerdrang manchmal zu sehr die Zügel schießen. Andererseits: Gerade im Barock galt es stets, die Schaulust des Publikums zufriedenzustellen. Bilderzauber und Bühnenmaschinerie waren stets Teil der Show.
Hans Huyssen dirigierte das auf Alte Musik spezialisierte Ensemble von „Cosi facciamo“ in nicht durchgehend stabiler Form, bei der Premiere im Cuvillies bildete man sich kleine Ungenauigkeiten ein, die nicht unbedingt auf den uns fremd gewordenen Klang barock gestimmter Instrumente – Stichwort historische Aufführungspraxis – zurückzuführen waren.
Mit Präsenz, stimmlicher Fülle und Charme überzeugte Olivia Vermeulen durch die Bank, vor allem in den Bravour-Arien, die Raum für atemberaubende Koloraturen bieten. Auch die anderen Sänger gilt es zu loben. Zum Beispiel Martina Koppelstetters Polinesso: Nicht mit der Kraft Vermeulens, aber mit geschmeidiger Präzision. Die Akteure verließen sich nicht alleine auf ihre Stimmen, sondern agierten in Gestik, Mimik und Körperhaltung überzeugend.
Kurz: Ein bunt-schillernder Abend, der mit seinem Charme das Publikum mitriss. Und mit seiner kraftvollen Gegenwart eines wundersam ins Gedächtnis rief: Auch zu Händels Zeiten ging das Publikum ins Theater, um sich anrühren und unterhalten zu lassen.
Jan Stöpel