Hexenmeister ohne Magie: Marc-André Hamelin im Residenztheater
Extremsport hinterm Flügel: Der Pianist und Komponist Marc-André Hamelin ist für seine Vorliebe bekannt, selten aufgeführte Stücke mit äußerst hoher technischer Schwierigkeit zu spielen. Im Residenztheater bewies er sein spielerisches Können, der Inhalt blieb dabei auf der Strecke.
Scheinbar emotionslos, ruhig und konzentriert sitzt er am Flügel, keine Spur von jener künstlerisch exaltierten Aura, die so manchen Hexenmeister früherer Jahre auszeichnete. Der Kanadier scheint seinen Spaß daran zu haben, im Kostüm eines Buchhalters das Publikum an der Nase herum zu führen – denn Hand aufs Herz: wer sich so normal verkauft, was kann an dem schon dran sein.
Doch allem äußeren Erscheinungsbild zum Trotz ist Marc-André Hamelin nicht nur ein guter, sondern sogar ein exzellenter Klavierspieler. Selten gab es im Herkulessaal so viel Kniffliges wegzuräumen wie diesmal. Vor der Pause Schumanns „Carnaval“, danach „ Zwölf Etüden in den Moll-Tonarten“, die sich der Meister selbst gebastelt hatte. Schon beim Anblick der Noten, unlängst von der Edition Peters veröffentlicht, wird es einem schwarz vor Augen.
Als ob es nichts wäre, schafft der kanadische Wunderpianist ohne erkennbar falsche Töne diesen Tasten-Gipfel: eine Hommage an Chopin. Liszt, Scarlatti und Rossini, gespickt mit aberwitzigen Trapezakten, unspielbar, sollte man meinen. Aber Hamelin beweist geradezu aufregend gelassen das Gegenteil.
Natürlich darf man nach dem Sinn eines solchen Konzerts fragen. Denn Musik kam eigentlich nicht vor. Auch nicht beim einleitenden Schumann-„Carnaval“ – da wurde, wenig differenziert, alles über einen Kamm geschert, zumeist sehr rasch, ohne Ausdruck, Klangfarben, Charme oder Delikatesse. Hamelin gab Rätsel auf: Dass einer, der so hinreißend den Flügel beherrscht wie kaum ein anderer seiner Kollegen, derart schwach auf der Brust ist, wenn es um Inhalte geht, stimmte ziemlich melancholisch.
Volker Boser