Hanna Schygulla "Auf Lesereise" im Literaturhaus
Noch nicht angekommen, auch nicht beim Heimspiel in München
Sie war Fassbinders Muse, die erste deutsche Schauspielerin auf dem Cover des „Time“-Magazins, und sie lebte die letzten 30 Jahre in Paris. Nun wagt sie mit stolzen 70 Jahren einen Neuanfang in Berlin. Momentan auf Lesereise, machte sie Station im Münchner Literaturhaus.
Hanna Schygulla strahlt wieder auf der Bühne, feiert sich und das Leben. Das Münchner Publikum bereitet der Grande Dame des deutschen Films am Donnerstagabend (27.2.2014) einen herzlich-warmen Empfang. Schon Wochen vorher ist das Literaturhaus bis zum letzten Platz ausverkauft und trotzdem warten noch viele, vor allem ältere Damen, geradezu trotzig an der Abendkasse. Endlich wieder „die Schygulla“ sehen, raunen wartende Gäste. Endlich wieder in "ihrer Heimatstadt München“.
Doch schon vor dem Gespräch mit dem angenehm ruhig moderierenden Filmjournalisten Thilo Wydra gleich die erste Überraschung des Abends: Hanna Schygulla hat kurzfristig einen ihrer selbst gedrehten und selbst produzierten Filme aus der Reihe „Traumprotokolle“ mitgebracht. Er ist Teil der gleichnamigen multimedialen Film-Installation, die noch bis Ende März in der Berliner Akademie der Künste zu sehen ist.
Schwarz-weiße Portraitaufnahmen Hanna Schygullas in Slowmotion, leiser Gesang, Überblendungen zu Aquarellbildern der Künstlerin und in den Kosmos. Die Milchstraße wird mit Folienstoffen zusammen montiert, kleine Neonlichter glühen am künstlich arrangierten Christbaum zur Weihnachtszeit. „Es träumt der, dem alles gelingt“ heißt es in dumpfem Tonfall aus dem Off. Überblendung zu einem Portraitbild des berüchtigten Auschwitz-Arztes Josef Mengele mit Hakenkreuz im Hintergrund. „Dagmar“ hätte ich eigentlich heißen sollen, erklärt die Stimme der Schauspielerin geheimnisvoll, „und nicht Hanna. Das klingt so jüdisch.“
Biografisch verwobene Traumbilder
Schwarze Kuben strecken sich gen Himmel und plötzlich erkennt man das Holocaust-Mahnmal in Berlin. Privatfotos aus der Kindheit mit einer fünfjährigen Schygulla vermischen sich mit historischen Fotos von Flüchtlingsströmen aus dem Osten am Ende des Zweiten Weltkriegs. „Höhepunkte sind Tiefpunkte. Und Tiefpunkte sind Höhepunkte.“ Dazu steigt die durchaus gealterte Schauspielerin in rotem Kleid verschwommene Treppenhäuser stetig auf und ab. Ein kleines Kind, ihr filmisches Alter Ego, ebenfalls ganz in Rot, streckt ihr die Hand entgegen und geht doch an ihr vorbei, die Treppe herunter. Schwarzblende.
Großer Applaus im Saal. Die rätselhafte Videominiatur spiegelte in magischen fünf Minuten entscheidende Lebensphasen des Stars wider. Und dann kommt sie: Schwarzer Stoff, brauner Schal. Mit der bekannten Hochsteckfrisur und dem unverkennbaren Blick der Sphinx tritt sie auf die Bühne. Sie genießt es sichtlich. München ist für Hanna Schygulla ein Heimspiel, ganz klar.
Wiederentdeckung der alten Heimat
Doch nachdem sie sich in den letzten gut 20 Jahren fast komplett aus dem Filmgeschäft zurückgezogen und sich selbst um die Pflege und Betreuung ihrer Eltern gekümmert hatte, war es ein besonderer Moment für sie. Kein Wunder, schließlich war die heute 70-jährige Aktrice und Sängerin einst als junges Flüchtlingskind „mit einem der letzten Züge, bevor die Russen kamen“, nach Kriegsende zuerst in Stockdorf bei München gelandet. Ohne Glamour, mit nichts in der Hand.
Als „Polenmatz“ nach Bayern
Danach wurde sie zusammen mit ihrer Mutter und anderen Vertriebenen in einem der letzten unzerbombten Häuser an der Nymphenburger Straße untergebracht. Ihre erste richtige Heimat in einer heimatlosen Zeit. „Irgendwo, wusste ich, werde ich irgendwie ein anderes Leben haben.“ Wohnungen seien für sie „wie Zugabteile“. Bis heute richte sie sich diese bewusst offen und durchlässig ein, denn „ich liebe Provisorien“.
Nur mit einfachen Möbeln aus dem Kaufhaus und besonders wenig Inventar ist sie deshalb auch zum Jahreswechsel von Paris nach Berlin gezogen. In eine WG am Savignyplatz, zusammen mit zwei Buchhändlern, die „meine Söhne sein könnten“. Wieder so eine Überraschung des Abends. Ihre alte Wohnung im Pariser Marais-Viertel hat sie immer noch nicht ganz aufgegeben, weil sie dort nach wie vor gerne am Place des Vosges sitzt und den Kindern beim Sandburgenbauen zusieht. So entstand auch eines der ersten Kapitel ihrer Memoiren „Wach auf und träume“ (Schirmer/Mosel Verlag, München), erschienen im vergangenen Herbst.
Keine klassische Autobiografie, sondern ein assoziativer Reigen aus Lebenserinnerungen, Zufallsbegegnungen, Hoffnungen und Abschieden ist dabei entstanden. Getragen von warmherziger Poesie und mitunter großer Rätselhaftigkeit. Unchronologisch, weil der erste Teil bereits seit 1981 in der Schublade ruhte, und der längere Rest erst im vergangenen Frühjahr vollendet wurde. Mit Verve und Entschlossenheit liest sie mehrere Passagen. Immer wieder unterbrochen von persönlichen Einschüben und humorvollen Schwänken. In gewohnt somnambuler Stimmlage und mit halb geschlossenen Augen. Bis heute ein Markenzeichen der international preisgekrönten Schauspielerin.
„Das Beste kommt erst noch“
Hanna Schygulla ist eine Tagträumerin geblieben, stellt sie mehrmals im Literaturhaus klar. Eine Suchende. Mit wachem Geist und dem eigenen Anspruch, sich stetig neu erfinden zu können. Wird es nun nach ihren aufgeschriebenen Lebenserinnerungen und den Glückwünschen zu ihrem runden Geburtstag wieder ruhiger werden? „Ich will noch gar nicht angekommen sein!“, posaunt sie entschlossen ihrem Gesprächspartner Thilo Wydra entgegen. Das wünschen ihr viele, nicht nur das Publikum im Literaturhaus.
Simon Hauck