Von menschlichen Spielsteinen und gierigen Rackern - "Winopoly" im I-Camp
Grau ist alle Theorie: In ihrem 24-Stunden-Theaterprojekt „Winopoly“ machen Mizzi Schnyder und Robert Hofmann ihre Besucher im I-Camp zu lebendigen Spielsteinen. Alle dürfen würfeln, kaufen, verkaufen, betrügen, korrumpieren, wie es ihnen gerade einfällt. Wir haben uns mutig auf's Feld gestellt und herausgefunden, wie der Kulturvollzug ins Spiel passt – ein selbstbefremdeter Erfahrungsbericht von Jan Stöpel.
Die nicht mehr enden wollende Krise – woher die kommt, wissen wir mittlerweile: Verdammte Boni-Banker, unfähige Manager, korrupte Regierungen in EU-Staaten. Wird Zeit, dass man den Herrschaften mal heimleuchtet, die Mechanismen des Markes mal auseinandernimmt. Und da kommt doch die Einladung zum Winopoly im I-Camp gerade recht: Wer will, darf mitspielen beim kulturbetonten Monopoly des enttäuschten 21. Jahrhunderts.
Hier geht’s mit den Mitteln der Performance gegen den entfesselten Kapitalismus, so viel ist klar, das verraten ja schon die Spielgeld-Banknoten. Dollarmäßig schauen sie aus, mit dem guten alten Marx anstelle irgendeines amerikanischen Präsidenten. Also, Platz genommen vor dem Spielfeld. Bewegte Bilder huschen über die Videoleinwand, schließlich waren Mizzi Schnyder und Robert Hofmann den Winter über mit ihrem „theatralen Kollaborat“ im „Winopo-Mobil“ in Deutschland unterwegs, hier nun dürfen Zuschauer und Aktive ein bisschen Reise-Videos sehen.
[caption id="attachment_5223" align="alignleft" width="225" caption="Das Spielfeld. Foto: Ulrich Stefan Knoll"][/caption]Ich blende die Ablenkung aus, es geht jetzt gleich ums Ganze. Ich, selbstverständlich, bin gewillt, das Ganze als Gaudi aufzufassen.
Ein großer Würfel aus Schaumstoff liegt für uns Spieler in der späten Nacht bereit, es kann losgehen mit dem Spiel ums große Geld. Hamburg ist per Skype zugeschaltet, nur: Die Jungs werden nix mehr zerreißen, die Stimmen der Hanseaten klingen schon arg verwaschen. Ich verstehe, der Abend war lang. Die Elbphilharmonie wollen sie gleich zu Beginn verkaufen, ihr Münchner Gegenspieler gibt allerdings gleich zu verstehen, dass „man hier in München nur fertige Sachen kauft“. „Klaro“, nuschelt es von Elbe an Isar zurück, „dann werma das Ding nochn bisschen runterwirtschaften, dann isses bald fertig.“
Ich würfele und stelle fest, dass in der Runde vorher auf meiner Straße einer eine Galerie gebaut hat. Schön, verkaufen wir halt Kunst. 300 Mäuse als Startgebot für irgendein Kunstwerk werde ich verlangen, eine Auktion klingt spannender als das dröge Angebot meiner Nachbarn in der Frittenbude: 300 für eine Currywurst – na, guten Appetit.
Während ich aus ein paar Fähnchen und Styropor etwas zusammenbastle, was man mit gutem, nein: bestem Willen als Kunst bezeichnen kann, kommt der Moderator zu mir rüber. Was ich da mache, will er wissen, und ich murmle was von wegen „Komposition Nummer neun, abstrakter Expressionismus.“ Bald verfängt sich der erste Arglose in meinem Spinnennetz. Die Auktion startet, für 1800 geht meine Komposition über den Tresen. Die Band „Stylebrush“ spielt einen Tusch. Mir schwillt die Brust, und das nicht nur vor lauter Spielgeld, das ich in meine Hemdtasche stopfe. Wer ist schon Damian Hirst, gemessen an mir?
Es wird weiter gewürfelt, virtuelle Dienstleistungen und Gebäude wechseln den Besitzer, und bald auch mein Kunstwerk. 2500 gehen über den Tresen, ich verdiene mit, weil ich mich im letzten Augenblick als Notar angedient habe. Der nächste, der auf mein Spielfeld gerät, ist kein Gegner, sondern ein Opfer: ein Milchbubi, geschätzte zwölf Jahre alt. Er will allerdings keine Kunst kaufen, sondern meine Galerie. 2500 nehme ich ihm ab und bereue es gleich. Der Bub wandelt meine schöne Galerie in einen Knast um. Wer darin landet, muss aussetzen – oder einen Freispruch kaufen, Blankohaftbefehl für einen unglücklichen Mitspiele inklusive. [caption id="attachment_5224" align="alignright" width="225" caption="Die Bank: Robert Hofmann. Foto: Ulrich Stefan Knoll"][/caption]So geht die Kundschaft nie aus. „Gieriger Racker“, schimpfe ich, insgeheim bin ich neidisch, dass ich nicht auf die Idee gekommen bin. Ein Knast in einer Bildergalerie, und ein niemals abreißender Strom von zahlungskräftigen Konkurrenten... Um das Beste draus zu machen, drücke ich ihm ein paar Aufkleber vom „Kulturvollzug“ in die Hand. Ein bisschen Anspruch kann nicht schaden, denke ich mir, und das mit der Kultur im Vollzug passt ja auch irgendwo.
Während der Rest noch ob der miesen Machenschaften des Bubis staunt, erklimme ich die nächste Stufe des Kapitalismus. Ich schleiche zum Bankhalter Robert Hofmann und biete ihm einen Deal an: 5000 Mäuse dafür, dass er von jedem 2000 abkassierst, der über losgeht, und wir teilen uns den Gewinn. Na? Es glänzt in seinen Augen, ich hab ihn am Haken, er überlegt aber noch, hat Einwände. Was heißt hier Korruption, entgegne ich empört, wir treiben das System auf die Spitze, entlarven es und haben am Ende jede Menge Kohle.
Während ich noch das System der Zukunft ausbreite, unterbricht mich ein erneuter Tusch von Stylebrush. Aus, nächste Runde. Ich gebe meinen dicken Stapel Spielgeld ab, mit einem unbestimmten Gefühl des Bedauerns. Aber da hinten winkt schon einer mit einer Flasche Tegernseer. Endlich was Reelles.
Jan Stöpel