"Georg Baselitz – Damals, dazwischen und heute" im Haus der Kunst
Weltdienst gegen die Chronologie
Georg Baselitz: Ich esse stenk (2013, Öl auf Leinwand, © Georg Baselitz, 2014 Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Paris - Salzburg) Foto: Jochen Littkemann
In zwölf Räumen präsentiert das Haus der Kunst mit Georg Baselitz einen der größten deutschen zeitgenössischen Maler. Für den Titel der Ausstellung ist bewusst und berechtigt nicht der allfällige Begriff der Retrospektive gewählt worden, zeigt sich doch, wie der Maler im Bisherigen immer wieder in den Ablauf seiner Schaffenszeit eingreift, um erneut Fahrt in seinen dialektischen Prozessen aufzunehmen. So ist die Schau eines Kreationsprozesses gelungen, der immer wieder im Vergangenen ansetzt, um von dort an erneut die Zeit zu rechnen, oder rechnen zu lassen. Nicht um zurückzublicken.
Am Aufrollen der Zeit, der kreativen Kraft die Welle zurückzuwerfen, um in neuer Betrachtung das Alte in Urstand zu versetzen, erweist sich die Bedeutung von Baselitz. Rückgriff, um nach vorne zu schauen, wie dies bereits sein erster „Fingermalerei-Adler“ (1972) tut, der tief nach oben schauend stürzt. Ein Weltdienst gegen die Chronologie: rotierend, abstürzend, aufstehend in Negation. Ebenfalls im ersten Raum: „Die großen Freunde“, 1965. Hier, am Beginn stehen die zwei verrenkten Freunde im Bilde still, sogar erstarrt. Und zeigen das Verhoffen eines jungen Künstlers, der 1957 nach West-Berlin gekommen war, nachdem er kurz vorher an der Akademie in Weißensee (Ost-Berlin) wegen „gesellschaftlicher Unreife“ gefeuert worden war. - Eines jungen Künstlers, der sich immer noch heftig im Widerstreit zum zurückgelassenen sozialistischen Realismus befand, ebenso wie - angekommen im Westen - zur abstrakten Malerei des Informel.
Was tun?
Die zwei großen Freunde mit den kleinen Köpfen stehen in einer Art Weltnacht auf brüchigem Boden, einer zeigt einen Kreuzigungsnagel in geöffneter Hand, das Unrecht präsentierend. Wehmütig, die kippende Schubkarre. Ein gefällter Fahnenmast ragt schon in die Tiefe, als stünde die Rotation bevor.
Und hier finden sich auch die ersten Kopfüber-Bilder: die Ehe-Idylle, „Schlafzimmer“ (1975) und Elke 1, das allererste der Umkehrsicht aus dem Jahr 1969. Die Anordnung der Bilder in den geschichtsträchtigen Räumen, seinerzeit von blonden Riesen bevölkert, unterstreicht klug das eingangs Gesagte von der Uchronie der künstlerischen Zeit: Der anschließende Hauptraum wird von den neuen finsteren Adlerbildern fast mehr beherrscht als von den ebenso tiefschwarzen Bronzeabgüssen der Plastiken, die den blonden Riesen ihrer Zeit in ihrer rührenden Klobigkeit Kontra zu geben scheinen, sie in Quarantäne verschieben. Der Adler, vielleicht einst in Turbulenz geraten, als man ihm entnazifizierend das Hakenkreuz aus den Krallen schlug, stürzt nun seit mehr als 40 Jahren.
Doch längst ist kein Himmel mehr. Dieser Adler der neuen Bilder stürzt in engen Kluften durch das Gestein der Erde. Ein Flug im Gestein. Bildgrund und Motiv werden fett pastös ineinander vermalt, und doch öffnet sich in der Verweigerung jeglicher Perspektive oder Raumbefindlichkeit eine fürchterliche Tiefe. Gelbes Schwarz lässt uns an verwesendes Gefieder denken. Und immer noch verweigert sich Baselitz der Abstraktion. Im Gegenteil: die Stofflichkeit ist im kaum Sichtbaren gewachsen, es ist wie ein opaker Prozess, ein Blick durch geschwärztes Glas, der das Drama verbirgt, den Untergang der Sonne.
"Georg Baselitz – Damals, dazwischen und heute" im Haus der Kunst noch bis zum 1. Februar 2015
Anm.d.Red. (25.10.14, 12 Uhr): Das Titelbild zum Text wurde ausgewechselt.