„Mit Leib und Seele" - Münchner Rokoko in der Kunsthalle der Hypokulturstiftung
Von Asam bis Günther - himmlische Sensation in profanem Haus
Johann Baptist Straub (1704-1784): Erzengel Raphael am Hochaltar um 1767, Berg am Laim, St. Michael. Diözesanmuseum Freising. Foto: Thomas Dashuber
Man möchte meinen, die fein federnden Strauss-Walzer seien bereits komponiert. Bald in jedem Raum ist ein Hauch „Rosenkavalier“-Stimmung auszumachen. Aber wahrscheinlich liegt das weniger an der Tatsache, dass die 1911 entstandene Komödie für Musik zu Zeiten Maria Theresias im gepudert aristokratischen Wien spielt. Sondern an der herrlich verstaubten Staatsopern-Produktion von Otto Schenk. Der hatte Anfang der 1970er Jahre mit seinem Bühnenbildner Jürgen Rose die heute noch grandiose Idee, den zweiten Akt mit der märchenhaften Übergabe der silbernen Rose in einer minutiös nachgebauten Amalienburg aufzuführen. Und damit befinden wir uns – unabhängig von der tatsächlichen Musikgeschichte - in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts bei François Cuvilliés (Architektur) und Johann Baptist Zimmermann (Stuck und Schnitzwerk) und zugleich am Anfang der Ausstellung „Mit Leib und Seele“.
Was das „Münchner Rokoko von Asam bis Günther“ zu bieten hat, ist unter diesem sinnfälligen Titel in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung zusammengefasst. Wobei das Gros aus Kirchen und Klöstern stammt. Eine Sensation, nicht nur für das profane Haus.
Dass hier so viel in höchster Qualität aufeinander trifft – immerhin rund 150 Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen und Grafik – ist einer Schließung zu verdanken. Das vor vierzig Jahren eröffnete Diözesanmuseum in Freising wird saniert. Und also standen die besten Exponate parat, um 40 Kilometer weiter südlich auf eine ziemlich gut frequentierte Plattform zu gelangen. Dass dann allerdings noch ganz anderes den Weg nach München gefunden hat, ist schlicht der Beteiligung der Kirche zu verdanken. Anders wäre es kaum möglich gewesen, Elementares etwa aus der ehemaligen Klosterkirche in Freising-Neustift zu erhalten, die ebenfalls renoviert wird. Oder aus Rott am Inn. Dort müssen sich die Besucher in Sankt Peter und Paul derzeit mit Pappkameraden beziehungsweise Animationen begnügen, und eifrige Kirchgänger werden vielleicht mosern. Einerseits berechtigt. Die Figuren sind schließlich just für ihre Räume gemacht, die nur im Zusammenspiel von Architektur und Bildnerei zum Gesamtkunstwerk werden können. Und dennoch: Eine Plastik, die sonst hoch droben unter der Decke hängt, aus nächster Nähe in Pracht, Physiognomie und Machart sehen zu können, ist ein immenser Gewinn.
Egid Quirin Asam (1692–1750): Hochaltar der Wallfahrtskirche Maria Dorfen, um 1739/40 (Feder laviert, 47,3 x 29,7 cm) München, Staatliche Graphische Sammlung. Foto: Staatliche Graphische Sammlung
Auch wenn Johann Baptist Straubs (1704 - 1784) Gloriaengel aus dem Dießener Marienmünster fast ein bisschen verloren in seiner erdnahen Nische schwebt. Aber man kann sich nun auf die Einzelfigur konzentrieren, was im Gewimmel aus Malerei und Stuck und dem augenbetörenden Schwung der Rocaillen sowieso nie gelingt. Und man erspäht offene Rückseiten und Hohlräume – etwa im Ignaz Günther (1725 – 1775) gewidmeten Raum, wo die überdimensionalen Heiligen Norbert und Augustinus aus Neustift im Zentrum stehen - und versteht ohne Umschweife, wie gegenreformatorische Inszenierung à la bavaroise funktioniert hat. Und wie bei allem Prunk dann eben auch ungemein ökonomisch gearbeitet wurde. Schnitzeisen oder Pinsel liegen zwar nicht aus, aber man kommt dem „Making of“ erstaunlich nahe. Und im eliminierten, direkten Nebeneinander der Künstler sind Entwicklungen auszumachen, Eigenheiten, Einfälle. Von den Asam-Brüdern Cosmas Damian (1686 – 1739) und Quirin (1692 – 1750), denen es gelang, Italienisches und damit vor allem den Barock eines Bernini mit bayerischem Lokalkolorit zu emulgieren, bis hin zum Meister des Übergangs Roman Anton Boos (1733 - 1810), der schon deutlich mit der nächsten Phase, dem Klassizismus, anbandelt und doch ein Sohn des Rokoko bleibt.
Dazwischen bekommen die beiden Stars besonders viel Raum. Also Straub mit seinen polierweiß gefassten, verzückten Heiligen, Agathe und Rochus (1745/49) aus St. Quirinus in Tegernsee, dem imposanten Dianaschlitten (um 1740) aus dem Nymphenburger Marstall, auf dem ein feister Putto das Horn bläst oder dem Wiesheiland (um 1757) aus Reisach, der milden Blicks die blutende Pein der Geiselung erträgt. Und dann – besser geht’s einfach nimmer – Straubs Schüler Ignaz Günther, der eine kaum zu beschreibende Leichtigkeit ins Spiel bringt, wenn’s sein darf, auch eine elegante Ekstase, der dieses Tänzeln noch einmal steigern kann, ohne je geckig oder süßlich zu werden. Mit den schweren Lidern, den verschnieften langen Nasen sind seine schmerzvollen Madonnen (etwa die Mater Dolorosa aus Aholming, die sonst im Diözesanmuseum steht, um 1765/75, oder die Pietà aus Eiselfing, um 1758) und Heilige wie die rotwangige Notburga aus Rott oder der virtuos gefasste Leonhard (die Bildhauer durften ihre Skulpturen nicht selbst kolorieren) keine klassischen Schönheiten.
Ignaz Günther (1725–1775): Genius mit Herz, 1758 (Holz, vergoldet, 45 cm), Diözesanmuseum Freising. Foto: Thomas Dashuber
Aber sie leuchten, beseelt von einem paradiesischen Jenseits, das hier zum Greifen nah kommt – und sich doch entwindet, im nach innen gekehrten Blick, in der Schwerelosigkeit selbst im Leid, in der Geschmeidigkeit der Bewegung bis in die filigranen Fingerspitzen. Und die bei aller optischen Überwältigung oft genug komplizierte Glaubensinhalte samt theologischem Diskurs in sich tragen. Übrigens sollte man auch die heiter verspielten Putten nicht unterschätzen. Franz Xaver Schmädl (1705 - 1777), neben Christian Jorhan d. Ä. (1727 – 1804) einer, der das München-typische Rokoko weit hinaus in die Region trägt, versieht einen treuherzig dreinschauenden Wonneproppen (1745/46) mit Federschmuck und einer wassergefüllten Muschel. Die Botschaft des knienden Puttos aus dem ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Rottenbuch ist dann doch wenig harmlos: Seine Attribute stehen für die große Zahl der eifrig von den Jesuiten Missionierten und damit Getauften in Übersee.
Dreißig Jahre nach der letzten Rokoko-Großschau im Bayerischen Nationalmuseum ist das ein echter Coup. So wird man die meisten dieser Skulpturen kaum wieder sehen, schon gar nicht die aus den Kirchen. Dazu sind sie äußerst geschmackvoll präsentiert - dass man nicht mit jeder Wandfarbe zwischen Flieder, Ocker und Lindgrün einverstanden sein muss, tut dem keinerlei Abbruch. Zum dreißigjährigen Jubiläum der Kunsthalle 2015 ist das jedenfalls eine fulminante Ouvertüre.
Bis 12. April 2015, täglich 10-20 Uhr. Katalog mit neuen Aufnahmen von Thomas Dashuber (Sieveking Verlag) 35 Euro. Infos auch über die Seite der Kunsthalle.