"Gegen Kunst" - "'Entartete Kunst' - NS-Kunst - Sammeln nach '45" in der Pinakothek der Moderne
Wunschmaschinen einer schizophrenen Produktion
Adolf Ziegler (1892-1959), Die vier Elemente, vor 1937, Sammlung Moderne Kunst in der Pinakothek der Moderne. Foto/Copyright: Sibylle Forster/Bayerische Staatsgemäldesammlungen
Intensive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und der Hauptstadt der Bewegung prägen dieses Jahr in München. Am 1. Mai 2015 wurde das NS-Dokumentationszentrum am Standort des ehemaligen Braunen Hauses, Brienner Straße 45, eingeweiht; in der Pasinger Fabrik wurde mit Ausstellung und großer Veranstaltungsreihe der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen zu Israel vor 50 Jahren, am 12. Mai 1965, gedacht; das Stadtmuseum zeigt „Nationalsozialismus in München“. „Gegen Kunst“, in der Pinakothek der Moderne, stellt drei Triptychen und zwei Plastiken gegenüber, die exemplarisch das Spannungsverhältnis repräsentieren, das 1937 in der „Hauptstadt der Deutschen Kunst“ zwischen der offiziellen Kunstausstellung der Nationalsozialisten, „Große Deutsche Kunstausstellung“ und der Femeausstellung der entarteten Kunst in den Hofgartenarkaden bestand – und besteht.
Neben den Plastiken des jüdischen Bildhauers Otto Freundlich „Der Aufstieg“ (Bronze 1929), und Josef Thoraks „Zwei Menschen“ (Marmor 1941) sind die Triptychen von Adolf Ziegler „Die Vier Elemente“ (vor 1937), Max Beckmann „Versuchung“ (1936/37) und Francis Bacon „Kreuzigung“ (1965) ausgestellt. Staatstragende Körper, idealisierte Akte hier, Utopie, Komik, Verformung, Erzählung, Qual und Distanz auf der anderen Seite. Mit lediglich fünf Exponaten eröffnet diese Ausstellung das ganze Feld der ästhetischen, politischen und geschichtlichen Auseinandersetzung. Die idealisierten Körper der „Zwei Menschen“ Josef Thoraks (1889-1952) vermitteln rassische Überlegenheit. Aber auf dem Gipfel der Idealisierung herrscht inhaltliche Leere. Das biologische Design kennt kein Merkmal, heroisch bescheiden behauptet es ein schieres Menschsein. Es produziert Menschen, die sich der Erinnerung entziehen. Der Körper ist die Wunschmaschine einer schizophrenen Produktion, der Pornografie verwandt. Gesundheit und Tod vertragen sich auf dieser hohen Ebene nicht nur gut, sie sind, und das ist ihr heroisches Paradox, austauschbar, gar eins. Und wie das folgende Beispiel zeigt, sind diese Prototypen der Todesgesundheit auch direkt in entgegengesetzten Diktaturen einzusetzen. Zwei „Schreitende Pferde“, die Josef Thorak für die Gartenfassade der Berliner Reichskanzlei geschaffen hatte, waren nach dem Krieg auf dem Sportplatz einer sowjetischen Kaserne in Eberswalde gelandet, ebenso wie die bronzenen Athleten, der „Künder“ und „Berufung“ von Arno Breker. Dort versinnbildlichten sie eindringlich, neben kyrillischen Mottos über Sport, Gesundheit und Wehrwillen bis 1989 die Überlegenheit, jetzt eben sozialistischer Körper. In Sonderschriften des Oberkommandos (Die „Bereitschaft“) der Wehrmacht war allerdings nicht allzu lang davor den deutschen Soldaten kämpferische Lyrik neben den Abbildungen der Breker-Körper mit ins Feld gegeben worden: »Du mußtest sterben, damit wir leben, und unsere Zukunft ist dein Verderben, denn meine Jungen werden erben, was niemand dir einst gegeben.“ Gleich nach der Öffnung des eisernen Vorhangs trabten die bronzenen Schwergewichte flugs, mit strotzendem Huf, dem freien, illegalen Kunstmarkt entgegen (und tauchten erst vor kurzem wieder auf, hier ein Spiegel-Bericht dazu). Wer hatte was geerbt?
Francis Bacon (1909-1992), Kreuzigung, 1965. 1967 erworben von PIN, Freunde der Pinakothek der Moderne, seit 1999 Leihgabe der Museumsstiftung, Foto/Copyright: Sibylle Forster / The Estate of Francis Bacon / VG Bild-Kunst, Bonn 2015
Dem gegenüber steht die Plastik „Der Aufstieg“ (Ascension) des jüdischen Utopisten, Humanisten und Visionärs Otto Freundlich, der 1943 im KZ Lublin-Majdanek ermordet worden ist. Das Bild einer anderen Plastik Otto Freundlichs, „Der neue Mensch“ „schmückte“ 1937 das Titelblatt des Katalogs der Feme-Ausstellung. Freundlich, auf den die Idee der Straße der Skulpturen, die seit 1971 der Bildhauer und ehemalige Professor an der Münchner Akademie Leo Kornbrust wiederaufgenommen hat, gilt als einer der ersten Abstrakten überhaupt und wird mit seiner Vision der sozialen Einheit durch und mit Kunst als Vorläufer der späteren Beuys´schen Entwicklung betrachtet.
Daneben dreimal Triptychon. Selten hat man die Gelegenheit, über die Eigenart dieser so an Bedeutung schweren Form aus der Tradition der Flügelaltäre mit der sogenannten Würde- oder Pathosformel nachzudenken. Ein schrilles Varieté der Verschlüsselungen, gefährlich stiller Fabelwesen ohne Ausblick auf Erlösung und Transzendenz bricht hervor beim verfemten Max Beckmann, der Deutschland, nachdem Hitler mit seiner Rede die Ausstellung 1937 eröffnet hatte, umgehend verlassen hatte. Ebenso wie der heilige Antonius, der in der burlesken Runde des Bildes nicht zu finden ist. Francis Bacons „Kreuzigung“ verkündet Folter, Malträtierung, numinose Gewalt, in einer Lesart von links nach rechts, wenn man so will. Ein typisch in der Bewegung eingedrehter, eingeschmolzener Frauenkörper verweist mit einem schwarzen Raum im Hintergrund links auf ein Moment der erzählerischen Auslösung, einen Auftakt. Im Zentrum dann gefesseltes, aufgehängtes, zopfartig verflochtenes Fleisch. Jeder Affekt ist entschwunden. Eine Präsentation, ein Exponat der Grausamkeit, eine Skulptur des Sadismus. Auf dem rechten Flügel signalisieren unbeteiligter Mann und Hund mit Hut in routinierter Abgeklärtheit die Normalität dieses Aktes. Sie sitzen an einer Bar. Die Kombination der Symbole Hakenkreuz in der Armbinde und französischer Kokarde in einer spindelförmigen verdrehten Menschen-Kampfszene ganz rechts lassen einen rätseln. Kampf von französischer Revolution und deutscher Usurpation oder deren Vereinigung? Eine Tötungsvereinigung.
Am Schluss werfen wir im Hinausgehen einen Blick auf Adolf Zieglers „natürliche“ Grazien, die vier aristotelischen Elemente repräsentierend. Von links nach rechts, Feuer, Erde, Wasser, Luft. Frau Luft blickt mit leicht provokantem Augenaufschlag in die Zukunft.
Noch bis zum 31.1.16. Mit Podiumsdiskussion und Vorträgen am 8.10., 15.10., und 29.10.2015. Im Web unter www.pinakothek.de/pinakothek-der-moderne/