",Geniale Dilletanten' - Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland" im Haus der Kunst

Tanz den Pogo Diabolo!

von Michael Wüst

",Geniale Dilletanten' - Subkultur der 1980er-Jahre in Deutschland" wurde als Tournee-Ausstellung des Goethe-Instituts konzipiert und für die Präsentation im Haus der Kunst maßgeblich erweitert. Hier zu sehen FM Einheit bei einem Konzert Einstürzenden Neubauten im Jahre 1982. Foto: Wolfgang Burat

Am 4. September 1981 fand im Berliner Tempodrom die „Große Untergangsshow“ mit dem Untertitel „Das Festival der Genialen Dilletanten“ statt. Die dilettierende Schreibweise soll beabsichtigt gewesen sein. „Geniale Dilletanten“ war 1982 auch der Titel eines Buches im Berliner Merve-Verlag. Heraus- und Titelgeber war Wolfgang Müller von der Band "Die tödliche Doris", das Buch wurde eine Art Manifest dieser Jahre. Im Haus der Kunst, bereitete nun Kuratorin Mathilde Weh, mit Liebe zum Titel und im Rückblick auf einen bis dato letzten Moment real existierender Subkultur vor 30 Jahren, in Kooperation mit dem Goethe-Institut umfassend und spannend Aspekte und Dokumente dieser „dilletantischen“ Zeit auf.

Zum Geleit, wie es seriös in dem Buch hieß, schrieb damals Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten „Unsre Musik sind keine Töne mehr“. Was ja schon einen recht instinktiv-triebhaften Zugang dazu zeigt, sprachlich möglichst zügig ins Unreine zu kommen, beziehungsweise müsste man da mindestens eine stark vollzogene Auflösung der Gegensätze bewusst-unbewusst attestieren. In dem Sinne, scheiß drauf, das zufällig Falsche kann ja später retrograd auch als Konzept durchgehen.

Wie auch ein Rückblick auf diese Zeit, kurz vor Inkrafttreten der neoliberalen Troika Kohl-Thatcher-Reagan nur ein Konstrukt ist. Am Ende des roten Jahrzehnts jedenfalls, 1967-1977, war der Impuls, gegen die ehrpusselige Anständigkeit der Friedensbewegten und Ökologen anzustinken, enorm. Genauso wie der allgemeine Ekel vor dem Bürger-Image des Künstlers, als Vollendungsstrebendem, verzweifeltem, teuflisch virtuosem, deviantem Genie. Und seinem Publikum, das sich bei Tristan und Isolde regelmäßig die Hände blutig klatschte. Man wollte, musste das alles einfach mal durcheinander werfen, zerstören, verfremden. Pogo Diabolo. Und zusammenbauen, was nicht zusammengehört. Sich am Sarkasmus des Fehlers ergötzen.

Im Tempodrom spielten Bands wie Din A Testbild, Sprung aus den Wolken, Die tödliche Doris und Einstürzende Neubauten. Lärm, Schnelligkeit, Urbanismus und Ruine, autistische Motorik, Verachtung von Ökologie, Virtuosität und Stadionrock, minimale Technik (Casio-Computer) und Wortgewalt oder wie die Gruppe FSK es ausdrückte: „Heute Disko, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie. Dies nennen wir Freiwillige Selbstkontrolle“. Die Ablehnung der 68er drückte S.Y.P.H. in einem Anti-Rousseau-Titel „Zurück zum Beton“ und einem Liebeslied „An das Industriemädchen“ aus: „Beim Elektrizitätswerk haben wir uns geliebt / im Hintergrund hat der schnelle Brüter gepiept“. Die Neue Welle erfasste, ausgehend von Westberlin, Düsseldorf, Hamburg, Hannover auch München mit seinen Rocktagen 1981 und 1982 – schließlich die ganze BRD in ihren letzten Zügen vor der Ära Kohl. Das große Plus dieser Ausstellung, inklusive fantastischer Publikation (Herausgeber: Leonhard Emmerling, Mathilde Weh), ist die historische Aufarbeitung des künstlerischen Umfeldes, der beteiligten Genres und Kunstgattungen, Treffs und Wirtshäuser (Ratinger Hof), unabhängigen Labels und der beteiligten Bildenden Künstler aus den verschiedenen Akademien. Neben sieben audio-visuell vorgestellten Bands, D.A.F., Palais Schaumburg, Der Plan, Freiwillige Selbstkontrolle, Die Tödliche Doris, Ornament und Verbrechen und Einstürzende Neubauten sehen wir Neue Wilde mit Bernd Zimmers 29 Meter langem Bild „1/10 Sekunde vor der Warschauer Brücke“ (1979), Salomés, „TV II“ (o. Angabe), von einer magischen latenten Grausamkeit, Markus Oehlens Instant „Erst malen" (1982), Elvira Bachs Triptychon „Wenn es Nacht wird in Berlin" (1983) mit dem Selbstbewusstsein des freiwilligen Sexual-Objekts.

Wir verfolgen Martin Kippenberger im legendären SO36 in Kreuzberg, die Hamburger Szene um Sigmar Polke und die Düsseldorfer um Jörg Immendorff und Markus Oehlen. Viele der Bildenden Künstler saßen an den Schießbuden, dilettierten an Saxophonen, schraubten am Casio und improvisierten am elektrischen Flaschenöffner. Martin Kippenberger spielte bei den Grugas, Markus Oehlen bei Mittagspause, Fehlfarben und Family Five, verkleidet als Panzerknacker. Jörg Immendorff, verkleidet als Hitler wurde damals verhaftet. Auf einem Foto ist auch Nena zu sehen. In einem spannenden Interviewfilm mit Protagonisten dieser Zeit hören wir auch über die Rückverwandlung jenes wilden Aufbruchs zurück in den Mainstream, der dann NDW hieß. Dann war es schnell vorbei.

Noch bis 11. Oktober 2015. Am Donnerstag, 8.10. Doppelkonzert: Ornament und Verbrechen und Die Goldenen Zitronen, 20.30 Uhr. Außerdem Workshops zum Thema Sound, Malerei und Bühnenbau, Performance und Experimentelle Kurzfilme für Kinder und Jugendliche.

 

 

Veröffentlicht am: 21.08.2015

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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