Fotos von Karl Blossfeldt in der Pinakothek der Moderne
Ein Star aus Versehen, der Rest ist Kunstgeschichte
Man kann sich diese Bescheidenheit heute gar nicht mehr vorstellen. Als Karl Blossfeldt (1865-1932) einen riesigen Stapel Fotografien für seine Ausstellung am Bauhaus fein säuberlich verpackt, fügt er zu einer einzigen Arbeit das Objekt, die getrocknete Pflanze, hinzu. Am liebsten hätte er das bei allen 200 Exemplaren so gehalten, schreibt er nach Dessau. Als wollte er in einer Tour demonstrieren, dass gar nicht er der Künstler sei – sondern die Natur.
Im Juni 1929 wurde die Schau dann eröffnet, da war Blossfeldt längst berühmt und gefeiert. Für seine „Urformen der Kunst“, die ein Jahr zuvor in einer Kombination aus Buch und Mappenwerk auf den Markt gekommen waren, musste eilends eine zweite Auflage gedruckt werden. Und auch die neu aufgelegte englische und die französische Ausgabe verkauften sich bestens. Die großen Magazine rissen sich um Blossfeldts Fotografien, er hätte sich also bequem auf seine Kunst beschränken können. Doch das kam dem leidenschaftlichen Pädagogen gar nicht in den Sinn. Drei Jahre später wollte er nicht einmal in Pension – es gab ja noch so viel zu tun für die Studenten.
Genau da liegt der Schlüssel zum Werkverständnis des Amateurfotografen. Auch das kann man aus der Präsentation der Pinakothek der Moderne zum 150. Geburtstag Blossfeldts herauslesen. Denn im Gegensatz zur üblichen Beschränkung auf die x-fach reproduzierten Fotografien und historischen Abzüge, auf Winterschachtelhalm und Weberdistel, Mohn und Mannstreu, sind hier außerdem kunsthandwerkliche Entwürfe, Arbeitscollagen und Herbarien, Modelle sowie ausgesprochen virtuose Handzeichnungen aus den Jahren der Ausbildung zu sehen.
Und da ging es ganz einfach ums Handwerk. Blossfeldt, der schon als Bub wild wachsende Blumen gesammelt hatte, um auf dem bescheidenen Anwesen der Eltern kleine Gärten mit exakt abgezirkelten Beeten anzulegen, wird zur Ausbildung in eine Eisen- und Kunstgießerei geschickt. Sein Zeichentalent war früh aufgefallen, in der Gießerei bildet es die Grundlage für das Entwerfen ornamentreicher Jugendstil-Bauformen wie Tore oder Kandelaber. Mit einem Stipendium darf er ab 1884 an der Unterrichtsanstalt des Kunstgewerbemuseums in Berlin studieren, wo er das Modellieren lernt. Und das bleibt dann auch Blossfeldts eigentliche Profession, die er ab 1898 als Lehrer für „Modellieren nach lebenden Pflanzen“ an seine bald zahlreichen wie anhänglichen Studenten vermittelt.
Dass Blossfeldt zur Plattenkamera greift, hat deshalb einen ganz praktischen Grund: Er will den jungen Leuten die fitzelige Arbeit, also das Übertragen der winzigen Knospen, Blätter und Stängel in Ton- oder Gipsformen erleichtern. Und so fotografiert er die Vorlagen in bis zu 45-facher Vergrößerung. Gleichzeitig geht es ihm darum, seinen Schülern die sagenhafte Vielfalt der Natur zu entdecken und damit all das, was Künstler seit jeher inspiriert hat.
Für Blossfeldt ist die Fotografie nichts weiter als ein Hilfsmittel. Dennoch geht er mit größter Präzision ans Werk, drapiert und korrigiert. Doch es braucht schon den Berliner Galeristen Karl Nierendorf, um Blossfeldt selbst die Augen für seine Kunst zu öffnen. 1926 stellt er erstmals aus, 1928 folgt dann mit den eingangs erwähnten „Urformen der Kunst“ der „Donnerschlag“. So jedenfalls beschreibt es einer seiner Studenten.
Namhafte Kunsthistoriker wie Julius Meier-Graefe, vor allem aber der Fotografie-affine Walter Benjamin jubeln in ihren Rezensionen. Der Rest ist Kunstgeschichte, die schier zum Greifen plastischen Pflanzenaufnahmen gingen um die Welt, noch vor ein paar Jahren hat der Möbelgigant Ikea seine preisgünstigen Bilderrahmen mit einer Blossfeldt-Reproduktion verkauft – dafür sind die Originale heute unbezahlbar. Dank der Sammlung Wilde hängen sie nun in München auf sommerlich modischem Orange und halten selbst diesem Farbbad stand.
Im Herbst wird übrigens ein opulenter Bild- und Dokumentationsband mit einem bislang unveröffentlichten Text erscheinen. In dem nimmt Blossfeldt ganz entschieden Abstand von dem, was in jedem Lexikoneintrag an ihm pappt: der Neuen Sachlichkeit.
Karl Blossfeldt "Aus der Werkstatt der Natur", bis 25. Oktober 2015 in der Pinakothek der Moderne, Di bis So 10 bis 18, Do bis 20 Uhr.