Kafkas "Schloss" am Volkstheater

Was für ein Aberwitz!

von Jan Stöpel

An den Grenzen der vorstellbaren Welt: Das "Schloss" von Franz Kafka am Volkstheater. Foto: Arno Declair

Wie war gleich noch mal der Weg zu Franz Kafkas "Schloss"? Der junge Regisseur Nicolas Charaux hat ihn gefunden und eine sehenswerte Inszenierung fürs Münchner Volkstheater geschaffen.

Franz Kafka soll, so geht noch immer die Rede, ein eigenartiger Zeitgenosse gewesen sein, ein Eigenbrötler, unbeholfen, womöglich weltfremd, ein Schöpfer ausweglos düsterer Geschichten mit Hang zu sadistischen Versuchsanordnungen. Der kränkliche Mann starb mit etwas über 40, ein Gezeichneter, dessen eigenes frühes Ende die Ausweglosigkeit seiner Erzählungen zu bezeugen scheint. Seine Hauptfiguren, mitunter einfach mit "K." bezeichnet, sind demnach kleine Kafkas, Klone eines weltfremden Einsamen.

So einfach ist es natürlich nicht.

Was für eine Menagerie: Silas Breiding würgt Mara Widmann. Selbstverständlich nur auf der Bühne. Foto: Arno Declair

Franz Kafka hatte gute Freunde, er hätte bei Frauen landen können, wäre er sich nicht dauernd selbst im Wege gestanden;  er war, anders als die Hauptfiguren seiner Geschichten, ein Bürokratiedompteur - wie sich bei seiner Arbeit bei einer großen Versicherung zeigte. Und seine Geschichten sind nicht nur Horror. Sie sind reich an witzigen, an aberwitzigen Szenen. Als er seinen Freunden aus seinem "Process" vorlas, dem bekanntesten seiner drei - unvollendeten - Romane soll er sich immer wieder vor lauter Lachen unterbrochen haben. Abenteuerliche Anekdoten, die man so richtig erst glauben konnte, wenn man vor einigen Jahren den "Process" in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg an den Kammerspielen erlebte. Kafka war da als souveräner, komischer Geschichtenerzähler zu erleben. Was für ein Spaß doch im Albtraum stecken kann.

Und jetzt: das Volkstheater. Mit dem "Schloss", inszeniert von Nicolas Charaux. Dieser Abend ist, um es vorwegzunehmen, ein guter Abend, ein sehr guter sogar, ein irrwitzig komisches und doch albtraumhaftes Theatererlebnis. Ein guter Kafka war an der Briennerstraße schon mal zu sehen gewesen, vor einigen Jahren, Bastian Kraft zeigte damals "Amerika" beim Festival "Radikal Jung". Aber das war Festival. Mit Charaux' Arbeit ist am Volkstheater Kafka im Repertoire als weltvertrauter Souverän zu erleben, als Sprachmeister und Architekt surrealer Lebenslabyrinthe.

Das muss man ersteinmal so hinbekommen.

"Das Schloss" ist ja kein einfaches Buch, eine absurde, niemals abgeschlossene Geschichte, über einen, der sich einen Schlafplatz in einem rätselhaften winterlichen Dorf sichern will, indem er sich als längst erwarteter Landvermesser ausgibt oder ausweist. Ein Mann mit Ehrgeiz, mit einer Portion Verschlagenheit sogar. Zum Landvermessen aber kommt er gar nicht, er gelangt noch nicht einmal zum ameisenbauartigen Schloss. Er verstrickt sich in einer streng wirkenden, doch eigenartig nachlässigen Bürokratie, fängt eine Liaison mit einer Frau an, an der ihn wohl doch nur die scheinbare Nähe zum Schloss fasziniert. Von Beginn an ist er durchschaut, er arbeitet sich ab an der Hierarchie, sein Elan erlahmt, bis zum - dieses Ende ließ sich nach Kafkas Äußerungen erschließen - Tod durch Erschöpfung.

Eine Tretmühle, eine Gebetsmühle, eine sadistische Versuchsanordnung? Das "Schloss" am Volkstheater wartet auch mit einem starken Bühnenbild auf. Foto: Arno Declair

Und dafür finden Charaux und sein Team - Pia Greven für die Bühne, Cátia Palminha für die Kostüme, Licht: Gerhard Fischer - treffende, düstere Bilder. Die Bühne ist durch den Nachbau eines Eisernen Vorhangs versperrt. Ein Tor wäre da, allein, in dieser Öffnung dreht sich ein rätselhafter Raum, mal Gasthaus, mal Amtsstube, mal Festung. Wie soll man denn da durchkommen? Und was soll dahinter liegen? Vor allem liefert dieser kreiselnde Raum das schlagendste Bild des Abends: Man kann ihn anschieben, so lang man will, man legt beim Anschieben lange Strecken zurück - und landet doch immer wieder nur am Ausgangspunkt. Das ist einleuchtend, das ist richtig stark, das ist die Neuerfindung des Hamsterrads aus dem Geist des Dramas. Und dann diese Kostüme: Fellmäntel und -mützen legen hinterste Hinterwäldnerei nahe, darunter tragen die Akteure Unterwäschen-Overalls - sehr viel passender kann man sich nicht kleiden für diese Verrottungsorgie.

Vor allem ist dieser Abend ein Fest für die Schauspieler. Was die Truppe des Volkstheaters da hinlegt, haut einen fast vom gut gepolsterten Theatersitz. Das körperliche Spiel, die grotesken Verrenkungen dieser Menschendarsteller erinnern an die absurde Choreographie von Herbert Fritschs "Revisor" am Residenztheater, die weiß geschminkten Gesichter mit den dunklen Augenhöhlen an die Stummfilmära, besonders an Friedrich W. Murnaus "Nosferatu". Ähnlich wie beim "Process" an den Kammerspielen wandern die Rollen. Jeder ist irgendwann der Landvermesser, irgendwann auch einer der unbrauchbaren Gehilfen. Die Behauptung eines wie sinnlos auch immer abgesteckten Lebenszwecks - wie sollte sie auch nur für einen gelten? Dass bei all dem Kafkas Sprache ihr Recht behält: Nicht die geringste Leistung des Abends.

Was für eine Pein: Im Dorf zu Füßen des Schlosses macht man's niemandem leicht. Foto: Arno Declair

Den Akteuren gelingen Glanzleistungen. Ihre chaplinesken Verrenkungen, ihre hilflosen Wortkaskaden allein machen den Abend zu einem Erlebnis. Es ist unfair, jemanden herauszuheben. Wir tun es dennoch: Silas Bredings Show als Dorfvorsteher ist ein echter Hingucker. Mara Widmann legt als Sekretär Bürgel ein starkes Finale hin. Ach, der Bürokrat will auch mal Mensch sein. Und ist doch nur ein manischer Lautsprecher. Irgendwie rührend ist das dennoch.

Das "Schloss" ist zu besichtigen. Machen Sie sich auf den Weg dorthin. Das Volkstheater soll, so hört man, leichter zu finden sein als Kafkas Alptraumbau.

 

 

Veröffentlicht am: 29.01.2017

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