Die Geschichte der optischen Täuschung von Pompeji bis VR in der Kunsthalle
Auf das Auge ist kein Verlass
„Wie, ihr habt wirklich einen Van Gogh bekommen?“ Beim Kistenauspacken gab es in der Kunsthalle gleich den ersten Beweis, dass die neue Ausstellung funktioniert. Denn tatsächlich war einer der Restauratoren für einen kurzen Moment dem perfekten Fake auf den Leim gegangen, erzählt Direktor Roger Diederen.
Und der Absender „Van-Gogh-Museum“ tat ein Übriges. Was der Experte, der tagtäglich Originale in der Hand hat, nicht wissen konnte: Im Amsterdamer Museum kann man für einen fünfstelligen Betrag nahezu identische Repliken mit sämtlichen Vermerken und Inventarnummern auf der Rückseite ordern. In diesem Fall haben die Holländer eine Kopie des berühmten Schlafzimmers von 1888 nach München geschickt. Und sowieso ist Vincent van Gogh der mit Abstand am meisten gefälschte Künstler. Für 350 Euro kann man dasselbe Motiv in China bestellen. Die Version fällt allerdings ab, schon was die Farben betrifft. Und wenige Meter weiter wundert man sich ganz besonders, dass das eher holzschnitthaft simple Gemälde „Christus und die Ehebrecherin“ lange für einen echten Vermeer gehalten wurde. NS-Reichsmarschall Hermann Göring hatte das Bild gekauft, und der Betrug wurde nicht etwa durch einen Kenner, sondern durch das Geständnis des Urhebers Han van Meegeren aufgedeckt. Ihm drohte als Kollaborateur und Veräußerer nationalen Kulturguts der Niederlande nach 1945 die Todesstrafe. Solche Fälschungen bilden nur einen, wenngleich ziemlich aufregenden Aspekt in der jahrtausendealten Geschichte der Täuschung, die jetzt mit zum Teil ganz erstaunlichen Beispielen in der Kunsthalle ausgebreitet wird. Womöglich hat der Mensch überhaupt erst angefangen, etwas in seine Höhle zu kritzeln, um die Welt draußen in die eigenen vier Wände zu übertragen.
Was immer er dann damit angestellt hat, vom Beschwören der Geister bis zum Drang, schöner zu wohnen... Sind dann erst die Künstler im Einsatz, geht es zumindest vordergründig um das bestmögliche Nachahmen der Natur. Auf die Weintrauben, die Zeuxis von Herakleia um 400 vor Christus malte, haben sich gierig die Vögel gestürzt, berichtet Plinius der Ältere. Also muss in der Kunsthalle auch eine pralle Rebe ihren Schatten werfen. Sie stammt vom 80-jährigen Pierre Gilou, der sich bewusst mit dem klassischen Trompe l’œil beschäftigt und in einer Reihe von Künstlern steht, deren Augentäuschungen, so die Übersetzung, bis heute verblüffen. Und das trotz Fotografie und den scheinbar unbegrenzten technischen Möglichkeiten, die sich gleich vis-à-vis in John de Andreas hyperrealistischem Selbstporträt samt Modell – beides Skulpturen – manifestieren. Wer nichts ahnend den Raum betritt, erschrickt vor diese Referenz an den antiken Bildhauer Pygmalion, so „echt“ ist dieses Paar bis zum Schamhaar der von Venus zum Leben erweckten Galatea wiedergegeben. Zumindest aus der Entfernung. Und es geht noch gruseliger. Die beiden Köpfe des kanadischen Künstlers und Maskenbildners Evan Penny – einmal jung, einmal als alter Mann – gehen weit übers Normalmaß hinaus. Doch mit ihrer ebenso übersteigerten Präsenz bedrängen sie freundlich lächelnd den Betrachter, der sich kaum von ihnen lösen kann. Silikon, Pigmente und Haare tun ihren teuflisch guten Dienst.
Dabei sind wir inzwischen einiges gewohnt. Der Zug, den die Brüder Lumière 1896 im Film auf ihr Publikum zufahren lassen, bringt heute keinen mehr dazu, panisch aus dem Kino zu fliehen. Neuerdings braucht es schon die „Virtual Reality“, um unseren Adrenalinspiegel nach oben zu katapultieren. Das australische Spieleentwickler-Kollektiv Toast schickt Besucher via VR-Brille im Fahrstuhl auf einen Wolkenkratzer, um sie dann in 160 Metern Höhe auf einem schmalen Holzbrett über dem Abgrund balancieren zu lassen. Ein Ventilator sorgt für Wind, und man steht auf einer realen Holzlatte. Damit treibt das Kollektiv die Aufsplittung von Körper(gefühl) und Geist ins Extreme. Das erfordert beträchtliches „Stehvermögen“ und einen robusten Magen, braucht aber keinen abzuschrecken. Die in zehn Bereiche gegliederte Schau – vom Phänomen der Wahrnehmung bis zu den Raumillusionen – liefert genug Verträgliches. Und seien es nur die pompejanischen Wandmalereien, die bereits so virtuos daherkommen wie 1500 Jahre später Paolo Veroneses Fresken in der Veneto-Villa Maser, oder die raffinierten Details einer eigens eingerichteten Wunderkammer. Die hält neben Abgüssen von Eidechsen, kolorierten Marmoräpfeln oder einem üppig bestückten „Potemkinschen“ (Papp)Tisch auch neue Kuriositäten bereit: darunter ein von fetten Faltern bewohnter Schädel, den die Japanerin Lina Uchida ganz aus Papier geschaffen hat. All das liegt in der Natur, sie hat solche Täuschungsmanöver ja selbst erfunden. Man denke an die Insekten, die wie Blätter oder ein Stück Borke aussehen.
H.P. Reuter, Kachelraum ohne Ding Nr. 110, 1976. 272x322x15, Öl, Leinwand, Sperrholz, VG Bild-Kunst, 2018, Bonn
Bis zu den endlosen Himmeln der barocken Deckenmalerei oder einem vermeintlichen Foliantenstapel, in dem sich eine schnöde Toilette verbirgt, ist es im Grunde nicht mehr weit. Der Schein trügt, und sich aufs Auge zu verlassen, hatte immer schon seine Tücken. Zu den Fake-News gehören genauso die Fake-Views. Unser Gehirn will ja betrogen werden – mit teils fatalen Auswirkungen. Wenigstens in der Kunst bereitet die Täuschung dagegen allergrößtes Vergnügen.
"Lust der Täuschung“ bis 13. Januar 2019, Kunsthalle München, Theatinerstraße 8, täglich 10 bis 20 Uhr, Katalog (Hirmer) 29 Euro in der Ausstellung.