Interview mit Markus Lüpertz zu seiner Ausstellung im Haus der Kunst
"Ich bin ein gut gekleideter älterer Herr"
Markus Lüpertz richtet sich gerade im Haus der Kunst in München ein. Zwischen frühen und späten Werken spricht der Künstler über weiße Männer, Cowboyhüte, Kunst und Politik. Hut, dunkles Sakko, Einstecktuch, fein polierte Schuhe – Markus Lüpertz ist auch beim Ausstellungsaufbau perfekt gekleidet. Mit seinem Silberknaufstock geht der Maler im Haus der Kunst die Bilder ab, hat hie und da eine kleine Anmerkung und entschuldigt sich für eine minimale Verzögerung des Interviews. Nachlässigkeit ist seine Sache nicht, weder bei seiner Arbeit, noch im Gespräch über den Kunstmarkt, Banksy und seine Liebe zum Western.
Herr Lüpertz, nicht nur im Kulturbetrieb werden inzwischen die „alten weißen Männer“ attackiert und als Auslaufmodell bezeichnet. Ärgert Sie das?
Ja. Und was heißt das denn? Ich kann doch nichts dafür, dass ich alt bin und weiße Haare habe. Wenn das ein Manko ist, dann gute Nacht.
Gemeint ist ja die Dominanz westlicher männlicher Künstler.
Das ist heute Unsinn.
Stehen Äußerlichkeiten mittlerweile zu sehr im Vordergrund?
Ich lege großen Wert auf mein Äußeres – und das in einer Welt, in der die Ästhetik sehr im Argen liegt. Sie brauchen nur auf die Straße zu gehen.
Dann wechseln wir ins Haus der Kunst. Beim großen Rückblick ist der Zeitraum zwischen 1980 und 2000 ausgelassen. Warum eigentlich?
"Unser täglich Brot"(1972) Leimfarbe a. Leinwand, 250x350cm, Sammlung Kleihues, VG Bild-Kunst, Bonn 2019
Um das frühe mit dem heutigen Werk zu vergleichen, um Ähnlichkeiten aufzuzeigen. Ich habe übrigens keineswegs das Gefühl, dass ich am Ende bin. Meine Neugierde und mein Hunger auf neue Bilder ist nicht zurückgegangen.
Welche Motive treiben Sie denn gerade um?
Mir geht es ausschließlich darum, gute Bilder zu malen. Heute interessieren nur noch Inhalte, aber nicht mehr die Meisterschaft eines Malers. Da komme ich ins Hintertreffen. Doch nur im künstlerischen Vergleich mit den Kollegen stellt man die eigene Position und Bedeutung fest. Und vor allem die Qualität.
Inzwischen entscheidet oft der Marktpreis über die Bedeutung.
Zumindest dort, wo der große Devotionalienhandel beginnt, ja. Damit habe ich nichts zu tun, und dafür sind meine Bilder auch nicht geeignet. Warum? Meine immer neuen Bilder entstehen in einer Malerei, die auf Tradition beruht. In der Bildenden Kunst gibt es nichts Neues, in diesem alten Handwerk gibt es nur neue Maler. Das ist das Zeitgemäße.
Manchen Bildern sieht man an, dass Sie mit der Kunstgeschichte sehr vertraut sind. Da sitzt auch mal eine Susanna wie bei Rembrandt im Bade.
Es ist ja nicht so, dass ich mich bewusst in der Kunstgeschichte bediene. Ich gehe in Museen, studiere Bildbände, besuche Kollegen. Ich habe jetzt angefangen, mich mit dem Barockmaler Frans Hals zu beschäftigen, da interessiert mich die Peinture. Wie malt er eine Hand? Oder eine Halskrause? Wie abstrakt, wie frei ist das? Daran kann man sich orientieren.
In der Ausstellung gibt es Bezüge zu Filmen. Welche Rolle spielt das Kino für Sie?
Stellen Sie sich das Berlin der 60er-Jahre vor. Das Kino war das billigste Vergnügen, dort konnte man für 2 Mark den ganzen Tag verbringen. Was ich sah, habe ich auf die enge, kalte, damals sehr wilde, raue Stadt übertragen. Ich konnte zum Beispiel den Nollendorfplatz um eine Prärie erweitern, für mich war das auch eine Art Arkadien. Solche Imaginationen haben mich damals beschäftigt. Und weil ich nichts hatte, konnte ich besonders gut träumen. Das visuelle Erlebnis Kino hat mich immer interessiert, ob Wild-West-Film oder Krimi spielte keine Rolle, obwohl ich eine tiefe Neigung zu Western habe. Da kommt einer ins Dorf geritten, macht die Bösen nieder und kriegt die Braut. Ein Klischee wie in der Oper – wunderbar!
Ihr Hut verwandelt sich gerade in einen Cowboyhut.
Nein, sind Sie wahnsinnig. Ich bin ein gut gekleideter älterer Herr.
Darf Ihr Gegenüber nicht auch ein bisschen Fantasie haben?
Gerne, aber bezeichnen Sie mich bitte nicht als Cowboy. Ich habe die Pistolen zu Hause gelassen.
Wollen Sie lieber als Dandy bezeichnet werden?
Ich bin kein Dandy, das ist ein Beruf. Ein Dandy beschäftigt sich permanent damit, wie er aussieht. Das ist eine eigene aufwändige Kultur, für die ich viel zu undiszipliniert bin. Ich verausgabe mich bei der Arbeit und mache mich dabei sehr schmutzig. Und danach habe ich das Bedürfnis, mich anständig anzuziehen.
Bleiben wir bei den Kopfbedeckungen: Sie haben reihenweise Helme gemalt, weshalb?
Ich bin noch im Krieg geboren, ich habe also eine Beziehung zu Helmen. Deren Form übt auf mich eine Faszination aus. Wenn Sie einen Helm malen, erzählt er eine Geschichte – und zwar die, die Sie kennen. Das ist ja das Großartige an dieser Form, jeder hat dazu eine Vorstellung. Das funktioniert genauso bei einer Weintraube oder einem Totenkopf. Aber jeder will immer alles erklärt bekommen, dagegen wehre ich mich. Ich bin Maler, kein Pädagoge.
Und wenn man ganz nahe an eine Traube herangeht oder wie Sie etwa an einzelne Dachziegel, ist man schnell bei der Abstraktion.
Ich bin ein abstrakter und kein gegenständlicher Maler!
Einspruch.
Gut, die Abstraktion ist relativ begrenzt. Sie können Farbe schütten, Dreiecke machen… Aber die Befreiung vom Gegenstand durch die abstrakte Malerei erlaubt uns auch wieder, gegenständlich zu malen, auf dem Kopf zu malen, zu verwischen, Strichmännchen zu machen… Und sie erlaubt einem großartigen Künstler wie Immendorff, Historie zu malen. Obwohl er von uns allen der Gegenständlichste war, hat keiner so abstrakt gemalt wie Jörg. Das ist das große Missverständnis. Wir sind alle abstrakt, durch die Bilder von Kandinsky glauben wir nicht mehr, was wir sehen, sondern erfinden, was wir sehen. Wir sind Gott ein bisschen näher gerückt.
Das sagen Sie als Katholik?
Wieso, in der Kirche haben wir immer gesungen, „ganz nah bei Dir, oh Herr“. Das ist nicht ungehörig.
Sie haben Glasfenster für die Andreaskirche in Köln geschaffen. Will man als bekennender Katholik nicht auch ein großes Altarbild malen?
Wenn mir der Auftrag gefällt und ich die Freiheit habe, die ich brauche, warum denn nicht?
Wie steht es mit der politischen Kunst?
Damit habe ich nichts zu tun. Die Künstler, die sich auf die Politik eingelassen haben, sind gescheitert. Die Kunst ist frei, und wenn sie sich auf Inhalte wie die Politik einlässt, dann bitte verschlüsselt, also in einem gehobenen Sinne. Denn die Kunst hat diesen Tiramisu-, diesen Hochzieh-Effekt. Wenn nicht, ist sie ordinär. So wie bei Banksy. Das ist sicher verdienstvoll, heiter, das Bild, das sich schreddert, großartig. Aber für mich ist das Kirmes, Jahrmarkt. Ich habe überhaupt nichts dagegen, um Gottes willen, Genre hat es immer gegeben – und kommt direkt hinter der großen Kunst.
Lesen Sie morgens Zeitung?
Möglichst vier, fünf Blätter, ja. Ich bin froh, wenn ich sie durchhabe, damit ich endlich das Kreuzworträtsel machen kann.
Regen Sie sich beim Lesen auf? Etwa über den Erfolg der AfD?
Die AfD ist ein Zeitphänomen der wildgewordenen Unbildung: Jeder sagt etwas zu irgendeinem Thema, ohne das nötige Wissen zu haben. Dieses Phänomen muss durch Bildung bekämpft werden. Momentan sieht es so aus, als würde sich die AfD selber fertig machen. Man muss nur warten, dann verschwinden sie. Was mir zu denken gibt, ist die Unfähigkeit der bürgerlichen Parteien. Sie begreifen offensichtlich nicht mehr ihren Auftrag, sondern kümmern sich um Nebensächlichkeiten.
Was müsste sich ändern?
Die Menschen brauchen eine Ideologie. Dass wir Ideologien fürchten, wie der Teufel das Weihwasser, ist nach dem Dritten Reich verständlich. Aber das heißt nicht, dass man jede Ideologie ablehnen muss.
Wie könnte eine gute Ideologie aussehen?
Man müsste den Menschen beibringen, was Freiheit ist, denn darüber herrscht das größte Missverständnis unserer Zeit. Die Menschen sind frei in ihrer Ungezogenheit, aber nicht in ihrem ästhetischen Anspruch und nicht in ihrer Bildung. Und sie plappern alles nach, was sie hören. Das ist doch trostlos. Wenn ich einen gesunden Menschenverstand habe, schmeiße ich keine Mülltüte ins Meer. Das muss man mir doch nicht beibringen. Dass wir uns gut und rücksichtsvoll benehmen sollen, steht schon in der Bibel. Du sollst nicht töten… Die zehn Gebote reichen völlig, außerdem haben wir ein sehr gutes Grundgesetz, mehr braucht es nicht.
Aber ständig wird daran rumgemäkelt. Sind Sie eigentlich zufrieden?
Nein. Was ist das? Ich weiß gar nicht, ob ich zufrieden sein will. Aber ich bin zuweilen glücklich.
Das ist schon viel.
Eben. Ich habe auch nicht gesagt, dass es mir schlecht geht.
Malen Sie immer noch jeden Tag?
Das ist für mich ein Reflex wie Luftholen. Ich kann nicht leben, ohne zu malen.
Dann ziehen Sie das bis zum Ende durch?
Ich kann nicht aufhören. Schön wäre es, wenn nur der Tod mir den Pinsel aus der Hand nähme.
"Über die Kunst zum Bild“ seit 13. September 2019 im Haus der Kunst in München.