Über den Maler Wladimir Schengelaja
Bilder voll beredten Schweigens
Wie umfangreich und vielfältig das Werk des Malers Wladimir Schengelaja ist, zeigte sich in einer großen Ausstellung der alten whiteBOX im Jahr 2009. Das Werk des unbeirrten Malers wächst unaufhörlich weiter, vor allem in diesen Tagen, wo er zusammen mit seinem Freund und Kollegen Volker Behrend Peters in ein Atelier der neuen whiteBOX im neuen Werk3 umziehen konnte.
Der unprätentiöse Arbeiter mit dem hintergründig listigem Witz legt keinen Wert auf selbstverliebten Künstlersprech und gibt keine Einblicke in irgendwelche Merkwürdigkeiten eines Künstlerlebens. Er malt, während andere Projekte entwerfen oder in "Labs" an Prozessen ihrer Künstlerseelen teilhaben lassen. Wittgensteins Satz aus dem Tractatus logico-philosophicus passt ganz gut zu ihm: "Worüber man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Aber nicht ohne genauer hinzuhören. Denn was für eine Kommunikation ist das Schweigen über etwas? Ist es doch beredter als von etwas zu schweigen! Schengelajas Bilder sind voll beredten Schweigens.
So wie Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"? Zu Schengelajas auftauchenden Bildern möchte man eher die Frage stellen: Kann Zeit überhaupt verloren gehen? Vielleicht vergeht sie ja nicht einmal. Wenngleich auch der Rückschluss von der menschlichen Vergänglichkeit auf die Zeit menschlich nur allzu verständlich ist. Anders Schengelaja. Er driftet irgendwie in den Räumen seiner Introspektion, mit absichtslosem Interesse, in "weltloser Weltoffenheit", wie der Kulturwissenschaftler Thomas Macho in anderem Zusammenhang so schön formulierte. Zustände, Szenarien, Schichten, wo die Zeit bezeugt, am Werk gewesen zu sein, um sich damit erneut zu vergegenwärtigen. Die Vergangenheit der Zeit ist nur eine Form ihrer Präsenz. Es ist eine schwierige Fahrt über lockenden Untiefen. Die Konsequenz und der Umfang seiner Arbeit erlauben in der Gesamtschau, ja sie nötigen den Betrachter, sich auf sanfte Weise, einem dunklen Leuchten des Verborgenen, eines Numinosen, vielleicht auch eines höher Sarkastischen in seinen Bildern zu stellen. Alles beginnt mit dem Licht von den Höhen des Kaukasus herab zu den Ufern Suchumis, Hauptstadt Abchasiens, wo Schengelaja sein Studium aufnahm und später in Tiflis weiterführte. In einer Reihe von nahezu abstrakten Bildern wird er das Leben im subtropischen Klima an der Küste des Schwarzen Meers erinnern, als er gerade schon in München angekommen ist. Ein elegantes ganz und gar körperlich gewittriges Licht herrscht, ist festgehalten.
Wladimir Schengelaja mit dem gewichtigen Zweitnamen Iljitsch kommt auf das Gelände des damals gerade gegründeten Kunstpark Ost im Jahr 1996. Er bezieht ein Atelier im Werk 9, das als riesige Flohmarkthalle genutzt wird, neben Loomit, der zu dem Zeitpunkt bereits so etwas ist wie der Godfather of Graffiti. Er war mit seiner Frau Nora und der 14jährigen Tochter Julia bereits 1993 in München angekommen. In der Heimat Abchasien hatten sich die langjährigen Konflikte zwischen der georgischen Nationalbewegung und den selbstbewussten, alteingesessenen Abchasen, die dort schon in der vorchristlichen Kolchis-Kultur (1600-800 v. Chr.) lebten, bereits zum offenen Krieg ausgeweitet. Das kleine Land, südlich des Kaukasus, am nordöstlichen Teil des Schwarzen Meeres mit seinem subtropischen Klima, ist am 28. März 1921 von der kaukasischen KPdSU zur Sozialistischen Sowjetrepublik erklärt worden. Der winzige Punkt auf der Karte Zentralasiens, Schoß der griechisch beeinflussten Kolchis-Kultur der Bronzezeit, war immer geprägt von Spannungen, aber auch von der friedlichen Koexistenz verschiedenster Völker und Sprachgruppen. Dem von den USA in den 1990er Jahren geschürten Expansionswillen der Georgier, die im Gegensatz zur Sowjetunion und auch im Gegensatz zur nachfolgenden Russischen Föderation Abchasien die Autonomie absprachen, stellten sich neben den Abchasen auch ansässige Griechen, Ukrainer und Armenier entgegen.
Selbst Tschetschenen waren auf Seiten der Unabhängigkeit der kleinen Republik (etwas kleiner als die Oberpfalz), wie das Engagement des bei uns als Topterroristen geführten Schamil Bassajew zeigt. Zu den Völkern, die dieses Gebiet schon während der Bronzezeit zusammen mit Hethitern und Griechen besiedelten, wovon Skulpturen ab 1500 vor Christus zeugen, zählen neben den "Abchasiern" auch die Migrelen oder "Mingrelier" der kaukasischen, kartvelischen Sprachgruppe. Die ursprüngliche Sprache Schengelajas. In den Artefakten der Kolchis-Kultur fand er die griechisch-mythische Kuros-Figur, einen Himmelsflieger mit geballten Fäusten, der den Designern des Marvel-Universums auch gefallen haben dürfte.
Die Argonautensage berichtet, dass in dieser Gegend der seltsame Brauch bestand, die Leichen von Männern, die vom Blitz getötet wurden, an Bäumen aufzuhängen. Eine gewittrige Gegend. Die mythischen Griechenheroen Theseus und Herakles trieben lange vor Troja und Homer ihr Unwesen am Schwarzen Meer und vergnügten sich auf den Planken ihrer Schiffe mit den stolzen Phrygierinnen, den Amazonen, die wir heute in den kurdischen Soldatinnen wiederzuerkennen glauben. Wer auf den Gipfelhöhen des Kaukasus steht und weit nach Mesopotamien blickt, wo im heutigen Irak der Turm von Babylon Gott veranlasste, den Menschen die Sprachenvielfalt zu schenken oder zum Ararat, dem größten Berg der Türkei, wo Noah mit der Arche gelandet sein soll, wer hinabgleitet zu den Ländern rund um das Schwarze Meer, der wird hineingezogen in einen Webstuhl mannigfaltigster Sprachen und Dialekte, Völker und Stämme und findet sich irgendwo auf dem Teppich einer kaukasischen Erzählung, die sich sanft und voller Schönheit in die Täler und auf das Land gelegt hat. In den hohen Tälern Georgiens hat sich in tausenden von Jahren in kleinen Dörfern die Sprache verästelt und diversifiziert. 23 Dialekte der aramäischen Basissprache sind erhalten, die von den Bevölkerungenen wechselseitig nicht oder kaum verstanden werden. Neben dem Aramäischen flochten sich Turksprachen, Indogermanisch, Iranisch und Griechisch in diesen Teppich ein. In der Zeit des Osmanischen Reichs überdeckte die arabische Verwaltungssprache den wilden Sprachwuchs. Nach der Russischen Revolution sollten die Lateinisierungs-Kampagnen der Sowjetunion den Verhau nach dem westlichem Alphabet aufräumen.
Elektrizität braucht Einheitsschrift. Funktionierte nicht, schließlich setzte sich kyrillisch durch. Was den Ideologen der KPdSU, ebenso wie Kemal Atatürk in den 1920er Jahren rückschrittlich erschien, begeistert uns im langsam seiner Dominanz müde werdenden Westen als kreativer Reichtum. Vielleicht gerade in Zeiten einer kulturellen Erosion, da der Smartphonismus mit seinen Bildchen und Emoijs in die Sprachen einsickert. Ganz zu schweigen von den irreparablen Schäden, die durch eine ganze Generation von Pandemieschulkindern, die 2022 am Ende der vierten Klasse kaum lesen und schreiben werden können, hinzukommen.
Als junger Mann schreibt Schengelaja kyrillisch und spricht russisch. Der Sohn eines Landschaftsmalers trifft sich mit Freunden im Atelier seines Vaters, man trinkt Cocktails wie den Daiquiri nach russischen Rezept mit teilweise vergälltem Alkohol und übt "Back In The USSR". E-Gitarren werden aus Tischplatten ausgesägt. Als Verstärker dienen geklaute Parteilautsprecher für Partei-Aufmärsche, es gibt auch "Anascha". Das Leben ist für russische Verhältnisse geradezu dekadent. Man steht auf Underground. Schengelaja steht da immer noch drauf, doch mit dem Exil ist der Underground immer tiefer abgesunken. Er lebt weiter als dunkler Webstuhl im Hintergrund der Bilder.
Jedoch kein mythologisches Raunen, wie es unser 19. Jahrhundert mit Nietzsche, Wagner bis Heinrich Himmler kennt. Der Vordergrund, mal mit pastösem Aplomp, mal dünn, aber opak lasiert, evoziert einen schweigend numinosen Hintergrund. Was der Vordergrund nicht durchlässt, verleiht dem Hintergrund Sonorität. Mal dick mit öligen Pinselspuren, mal streng mit schwacher Kraft überdeckt, ahnt man Meldungen versunkener Figuren und Zeichen. In der Tiefe seiner Bilder aus der Reihe "Blac See" meint der mit tauchende Betrachter im Dunklen den Flossenschlag des Unbekannten zu erkennen. Nicht deutlicher. Kein Leviathan, kein Moby Dick von Herman Melville formt sich daraus, sondern es bleibt eine versunkene enigmatische Information in einem dunklen Zustand der Entropie - vor der Ausbildung zu Gestalt und Form.
Seine "Baschkas" - übersetzen wir sie mal als "Köppe" - blicken aus den Bildern, als kämen sie aus Zeiten vor Entdeckung des Spiegels, ohne Wissen um ihr Gesichts, in fazialer Unbewusstheit. An den Sturz des Narkissos als erstem gescheiterten Versuch der Selbstreflexion erinnernd, schlimmer noch, weil er ja in jenen Bach stürzte, der seinen Vater repräsentierte. Diese "Baschkas" tauchen ganz unromantisch und grußlos aus Vergangenheiten, respektive Bildhintergründen auf, als hofften sie, sich so erkennen zu dürfen oder in einen Spiegel zu blicken, der in den Händen ihrer Betrachter vermutet werden kann. Mit sinistrem Humor hat Schengelaja die Gesichter in fragender Haltung verbogen, verzerrt, manchmal mit Strichen skarifiziert. Er vergisst die Nase oder das ganze Gesicht und manche(r) Baschka, über ein halbwegs ordentliches Gesicht verfügend, sieht aus, als wäre er/sie lange Jahrhunderte unter Schlick und Sand gelegen.
In den skripturalen Anascha-Bildern wirkt im Vordergrund eine Schrift wie eine Barrikade, eine Absperrung. Durch das literale Gitter, das an die mesopotamische Keilschrift erinnert, kann man auf etwas blicken, was einen Ausschnitt normalen Lebens darstellen mag. Irgendetwas, was vielleicht als etwas idyllisches identifiziert werden könnte. Einmal, von einer fernen, schräg stehenden Sonne beleuchtet, scheinen die metallen wirkenden Versalien massiv jede Demonstration für größeren Durchblick verhindern zu wollen. Der Blick auf die Wahrheit hinter der Barrikade ist verwehrt. Wirklichkeit überwältigt Wahrheit. Die Sprache ein Gitter, das den Blick auf die ganze Wahrheit verstellt? Weder kann das auf Dauer die Sprache der Ideologie, noch ist je die ganze Wahrheit hinter ihr versteckt. Eine Ahnung von Wahrheit nur, ein Abdruck, eine Signatur der Zeit. Soll man darüber reden oder soll man darüber schweigen? Besser schweigen und es in der Meditation von Schengelajas Bildern - nein nicht suchen: Es sich finden lassen.
Am 3. Juli 2021 soll im Rahmen der Brucker Kulturnacht 21 (Dauer: 4.-19 Juli) eine Ausstellung mit Werken von Wladimir Schengelaja und Volker Behrend Peters stattfinden. Titel: "Feedback. Die Architektur der Wahrnehmung im Dialog."