"Gap Junctions" in der Windfall Hall
Erinnerungen schweben ohne Gesicht
"Gap Junctions" heißt ein Phänomen, bei dem im menschlichen Gehirn spontan Informationen freigesetzt werden. Erinnerungen und Ideen, die aus dem Nichts auftauchen, sind auch das Thema des Malers Simon von Barloewen: Er fängt auf seinen Acrylgemälden und Tuschebildern konkrete Gedankenformen ein, die auf der Fläche ganz neue Universen kreieren.
Ein Wesen mit einem Eisberg statt einem Kopf breitet die flügelartigen Arme aus, scheint auf einen zuzumarschieren. Im Hintergrund ist vor kräftigem Grün der Umriss einer Fabrik zu sehen, in der Natur gibt es aber ein Fenster, als wäre sie die Fabrik selbst ... Die Motive in der Schau "Gap Junctions", die vier Tage lang in der Windfall Hall an der Amalienstraße zu sehen war, sind rätselhaft. Und sollen es auch sein. Denn die Gedankenblitze, die von Barloewen einfängt, sollen für sich allein stehen und nicht ein- oder zugeordnet werden. Manchmal sind es menschliche Figuren oder Torsi, stets ohne Gesicht oder Kopf, wie im Traum eben, manchmal aber auch Symbole - zum Beispiel zieht sich eine Art Schlüssel durchs Werk. Die Szenerien, in denen diese Formen schweben, sind unbestimmt urban oder zeigen eine wuchernde Natur. Von Barloewens Universum ist nicht leer oder bedrohlich, es gibt darin eine Menge Organisches und Anorganisches. Nur hat nichts davon zwangsläufig mit irgendetwas zu tun. Alles ist frei.
Manches ist, zugegeben, unheimlich. Eine Art Phantom-Selbstporträt gleicht zum Beispiel einem Geist in Englischgrün und Dunkelrot, ist da Blut? Auch ein großes Tuscheporträt zeigt – nichts, außer Schwärze und rote Schatten. "Früher war ich düsterer", sagt von Barloewen, "das sind ältere Bilder." Beklemmend ist aber auch ein Breitformat über der Küche der Ausstellungsräume. Ein Mann mit ausdruckslosem Mondgesicht und sein beinloser Gehilfe ziehen ein merkwürdiges totes Wesen herum. Der Mondmann starrt dem Betrachter genau ins Gesicht. Die Klang-Collagen von Celia Meissner, die durch die Windfall Hall schallen, tun dazu ein Übriges. Es grollt geheimnisvoll aus Lüftungsschächten.
Trotzdem sind die Bilder nicht deprimierend. Denn von Barloewen geht großzügig mit Farbe um. Er schwelgt in Himmelblau und Türkis, blühendem Grün, verwendet Rottöne von Bordeaux bis Lippenrot. Schwarzweiß-Kontraste und scharfe Linien geben im schwebenden Universum dann doch gelegentlich Halt. Vor dem Eisberg-Wesen steht sogar eine Bühne, die vibriert – das Wesen kommt spürbar näher.
Simon von Barloewens Werke, meistens Großformate, sind ein mächtiges Abtauchen ins Unbewusste. Untergehen ist dabei aber ausgeschlossen, denn die Werke strahlen unverwüstlichen Optimismus aus. Da kann das Motiv noch so düster sein. Im August stellt der Künstler nochmal in München aus, der Besuch ist zu empfehlen.