Genähte und verlassene Landschaften
Unterwegs in der Maxvorstadt in München. Im Umfeld des Kunstareals zeigen kleine Galerien ambitionierte Fotokunst. Wir stellen zwei Beispiele vor.
Aus der Reihe "Geländefaden", Foto und Copyright Carola Vogt u. Peter Boerboom, courtesy Galerie Jordanow
1. Station: Fürstenstraße
In den Räumen, in denen Rahel Salamander früher ihre Jüdische Buchhandlung betrieb, hat sich die Galerie Jordanow eingerichtet.
In der aktuellen Ausstellung wird neben Werken aus den seriell angelegten Fotoarbeiten "Landschaften" (1998 - 2005) und "Abenteuerland" (2005 - 2010) nun auch die junge Reihe "Geländefaden" der Fotografen Carola Vogt und Peter Boerboom präsentiert.
Die Schwarzweiß-Aufnahmen zeigen eine manipulierte Wirklichkeit. Ein Henkerstrick im Wald, darunter im Moos Seilringe. Ein Waldsee wird überspannt von einem überdimensionalen Spinnennetz. In den Wald gebaute Stege, die im Nichts enden. Schöne, naturbelassene Waldstücke werden neu inszeniert, mit Störelementen versehen. Symbol dafür, dass der Mensch es nicht schafft, die unberührten Teile seiner Umwelt unberührt zu lassen. Er will, er muss manipulieren.
Carola Vogt und Peter Boerboom, beide Absolventen der Akademien in München und Hamburg, arbeiten seit 1994 als Künstlerpaar zusammen. Sie sind Mitbegründer der Künstlergruppe Department für öffentliche Erscheinungen, der auch Gabriele Obermayer und Silke Witzsch angehören. Beide leben in Oberbayern. Europaweit beschäftigen sie sich intensiv mit Aspekten von Landschaft und Zivilisation.
In der jüngsten, 2010/2011 enstandenen Reihe greifen die Fotografen aktiv ein in ihre Aufnahmen. Hilfsmittel: eine Nähmaschine. Bäume, Sträucher, ganze Landschaften werden mit weißen, grauen und schwarzen Fäden umnäht. Die Objekte erhalten weitere Kontur, setzen sich in ihre Umgebung fort, zeigen, wie es sein könnte und doch nicht ist, bilden eigene Skulpturen, eigene Strukturen. Das war so bislang nicht zu sehen. Rätselhaft, geheimnisvoll, bestrickend.
2. Station: Augustenstraße
Die Henn Galerie, ein Projekt des gleichnamigen Architekturbüros aus Berlin, zeigt in der Ausstellung "Tempelhof" Fotografien von Maximilian Meisse.
Der Flughafen, der 1924 bis 1927 erbaut und ab 1934 nach Plänen von Ernst Sagebiel erweitert worden war, wurde im Jahre 2008 endgültig geschlossen. Der 42-jährige Fotograf, der in Berlin lebt und arbeitet, konnte von 2006 bis 2008 die sterbende Legende - Gedanken an die Luftbrücke werden wach - fotografieren. Entstanden sind Bilder von unvertrauter Nähe. Sie zeigen nie wahrgenommene Details. Stahlkonstruktionen, unter denen Leere herrscht, eine Maschinenhalle, in der ein paar Kleinflugzeuge wie zufällig herumstehen, Abflughallen, denen jede Geschäftigkeit abhanden gekommen ist. Eine VIP-Lounge mit alten, abgewetzten Sitzmöbeln, die DDR-Charme ausstrahlen und als einzig modernes Inventrastück einen Feuerlöscher zeigen. Die Ecke des ehemaligen Restaurants, die durch Abbildungen die History of Flight dokumentieren sollte, ist zur Abstellkammer verkommen.
"Architektur ganz bei sich selbst", so beschreibt es Ingemar Vollenweider im Vorwort zu dem Buch "Tempelhof". Für den Fotografen, der sich selbst als "Sammler von Orten" sieht, liegt der Schwerpunkt auf der Transformation des Raumes im Bild. Die leeren, verlassenen Räume widersprechen den Assoziationen, die der Betrachter mit dem Ort verbindet. Die grandiosen Fotografien stimmen nachdenklich. Die Zukunft der gigantischen Anlage, insbesondere des mehr als 1200 Meter langen Hauptgebäudes, das unter Denkmalschutz steht, ist bis heute ungeklärt.
Zwei Ausstellungen, die völlig unterschiedliche Themen und Zielrichtungen haben. Beide sind sehenswert.
Die Ausstellung mit Fotos von Carola Vogt und Peter Boerboom ist noch bis zum 28. Mai in der Galerie Jordanow in der Fürstenstr. 11 in München, Mi. - Fr. 14 - 19 Uhr, Sa. 10 - 16 Uhr und nach Vereinbarung zu sehen. Der Eintritt ist frei. Kontakt: 0160-5535795. Zu den Serien sind Bücher erhältlich.
Die Ausstellung "Tempelhof" mit Fotografien von Maximilian Meisse ist in der Galerie Henn bis zum 10. Mai, Augustenstr. 54 in München, Di. - Fr. 13 - 19 Uhr, Sa. 10 - 16 Uhr bei freiem Eintritt zu sehen. Kontakt: 089-523570. Zur Ausstellung ist ein Katalog erhältlich.