Und dann war der Lack ab
Living in a Box: Wie schon bei seiner furiosen Adaption von Kafkas „Amerika“ konzentriert Bastian Kraft seinen „Dorian Grey“ auf engsten Raum. Erneut ein Klassiker beim "Radikal Jung"-Festival, diesmal in multimedialer Hochglanzverpackung.
Soll man das nun frühe Reife nennen, wenn ein so junger Regisseur eine solche Maschinerie so souverän bedient? Bastian Kraft hat für seine Burgtheaterproduktion wieder nur einen Schauspieler aufgeboten, Markus Meyer. Wie seinerzeit Philipp Hochmair ist er ein gewandter, höchst präsenter Solist, auch er in vielen Rollen zugange oder besser: in viele Facetten aufgesplittert. Und wieder setzt Kraft dabei auf Videoeinspielungen, mal mit der Nahaufnahme eines Gesichts, mal in längeren Sequenzen, die Dorian Grey – von dem man nur die Füße sieht - auf seinem Weg treppauf in den Dachboden folgen.
„Es ist der Betrachter und nicht das Leben, den die Kunst in Wahrheit spiegelt“, meint Oscar Wilde in seinem „Dorian Grey“. Insofern sind die männlichen Gesichter – Markus Meyer als Maler Basil Hallward, als Lord Henry und einige andere – nicht nur Erzähler, Kommentatoren und Zurückblickende – sie sind auch Identifikationsangebote für den Zuschauer.
Zusammen mit seinen Mitarbeitern – die Bühne stammt von Peter Baur, der zusammen mit Alexander Richter und Michael Schüller auch für die Videos verantwortlich zeichnet– hat Kraft eine höchst kompakte und leistungsfähige Theatermaschine hingestellt: Ein Metallgerüst, das mit seinen Flachbildschirmen puzzleartige Bildkombinationen erlaubt oder gleichsam in Scherben zersplittert das Ebenbild des goldenen Dorian Gray wiedergibt. Dass man an die geometrischen Bildkonstruktionen eines Piet Mondrian denkt, mag reiner Zufall sein. Facetten – dieser Ausdruck ist bei dieser Produktion, bei diesem so wundersam geschliffenen Bildquader so passend wie selten. In diesem Gerüst klettert Markus Meyer, schmiegt sich an die Bildschirme, interagiert mit seinen Video-Avataren. Ein Fehler, ein Aussetzer, und die ganze Szenen- und Bilderfolge wäre gestört.
Es geht nicht um Jugendwahn, schon eher um das Abgründige in uns, die Seiten der Persönlichkeit, die man lieber im Dachboden oder tief im Keller einsperren möchte, um innere Verwahrlosung und um die Tatsache, dass jede Schuld Konsequenzen nach sich zieht. Für welche Perspektive man sich auch entscheidet – bei einem so alters- und verantwortungslosen Treiben ist der Lack bald ab. Auch von Markus Meyers goldenem, fast schon dämonischen Gesicht: Erst in kleinen Partikeln, dann zunehmend in größeren Fetzen bröckelt die Goldfassade. Schöne, geschmeidige Bilder...
Kraft erzählt die Geschichte schnell, präzis, unterhaltsam, tiefsinnig. Ist das nun frühe Reife, diese souveräne Beherrschung der Maschinerie? Man will es nicht hoffen, nicht wenn Reife Abschluss bedeutet. Es soll, es muss weitergehen bei Bastian Kraft, gerne auch wieder mit mehr Brüchen, ein wenig mehr Unschärfe und Reibung. So perfekt lief dieser Bühnenmotor, dass man sich an seine Schlagzahl schnell, zu schnell gewöhnen konnte.