"Was ihr wollt" im Münchner Volkstheater
Stückl verordnet zwei Stunden Ferien von der Realität
Christian Stückl inszeniert am Münchner Volkstheater "Was ihr wollt" von William Shakespeare. Ein spaßiges Stück? Ja, auch hier. Und noch ein bisschen mehr. In dem Klamauk spiegelt sich unsere ratlose Zeit.
Der "Stern der höchsten Höhe", wie Goethe ihn nannte, konnte sein kaltes Licht noch in tiefste Tiefen senden: Shakespeare war als Autor der Hof- wie auch der Gossensprache mächtig, interessierte sich für Irrungen und Wirrungen der Höchsten wie auch der Niedrigsten. Neben all dem war er Bühnen-Unternehmer, der es seinen Abnehmern besorgte wie gewünscht und erwartet. Ganz nach dem Motto "Was ihr wollt!" Das hieß mitunter: ganz schön derb.
Ein Theatermann ganz nach dem Sinne von Volkstheater-Intendant Christian Stückl. Seine ersten Schritte als Regisseur unternahm er vor 40 Jahren mit Shakespeare. Nun, viele, viele Schritte später, ist er erneut mit ihm unterwegs, mal wieder. Und gar nicht so weit weg vom dicken Farbauftrag seiner Jugendjahre. "Was ihr wollt!" in der aktuellen Inszenierung Stückls am Volkstheater ist ein großes und spaßiges, ein grellbuntes und sehr deutliches Stück Bühnen-Karneval.
Natürlich ist alles vollkommen unglaubwürdig. Illyrien ist eine Insel, die Farben psychedelisch, die Menschen in aberwitzigsten Konstellationen einander zugetan und Sir Andrew so dusselig, dass man ihm nicht zutrauen würde, dass er unfallfrei in sein buntes Beinkleid steigt. Und wer will schon glauben, dass ein Bart einen solchen Unterschied macht, dass der Bruder nicht mehr die Schwester erkennt und Gräfin Olivia Weiblein nicht mehr von Männlein unterscheiden kann?
Stefan Hageneier entwirft Kostüme und baut eine Bühne wie aus einem Kiffer-Traum. Und Regisseur Stückl hetzt seine Schauspieler durch allerlei Verrenkungen und mindestens ebenso schmerzhaften Klamauk, mit Zipfelwitzen und Flatulenzen durch die Revue der Irrungen und Wirrungen. Alles so absehbar wie vom Publikum dankbar begrüßt. Das ist wie beim Chemie-Experiment in der Schule: Jeder weiß, was bei ordnungsgemäßer Durchführung rauskommen soll. Aber jeder im Klassenzimmer freut sich auch, wenn's tatsächlich knallt, blitzt und stinkt.
Da ist kaum Platz für Grautöne, am ehesten noch bei Steffen Links Malvoglio. Ihn richten Hofintrigen zugrunde. Und es ist schon erstaunlich, wie ausgerechnet gegenüber der unsympathischten Gestalt die Gemeinheiten besonders gemein wirken. Dennoch wäre das Treiben auf der Bühne insgesamt zu laut, zu grob. Wäre da nicht immer wieder Alexandros Koutsoulis, der seinen Sir Toby in heiterer und hinterkünftiger Verspultheit über die Bühne schlappen lässt.
"Was ihr wollt": Mit Alexandros Koutoulis als Sir Toby, Lorenz Hochhuth als Narfr und Vincent Sauer als Sir Andy. Foto Arno Declair
Als Shakespeare lebte und schrieb, hatte England lange Jahrzehnte des Krieges und des Chaos hinter sich. Dass sich am Ende das Bühnendurcheinander auflöst, am Ende alles gut wird: Für den Theater-Genius der elisabethanischen Ära war das zwingend. Nicht so bei Christian Stückl, in einer Zeit, die gegenwärtig aus den Fugen ist. Auch bei ihm erhalten die Zuschauer Unterhaltung, trefflich geschüttelt und gewürzt. Eine Lösung gibt's am Ende aber nicht. Ratlos wippen die Schauspieler auf ihren Absätztzen. Niemand findet zum andern.
Stückl erteilt Realitätsferien für zwei Stunden. An Sinn in all dem Irrsinn ringsherum, an eine Antwort des Theaters auf all das, was gerade schiefläuft: Daran mag auch er nicht glauben.