Angestrengtes Spuk-Geschwurbel: Uraufführung von "Alpsegen" in den Kammerspielen
Wahrlich kein Reigen seliger Geister: Auf Knien rutschen sie immer wieder als Bittprozession über die Bühne und purzeln kopfüber von der Rampe. Höchst unselig sind die Lebenden, Halb-Toten und mythischen Sagen-Gespenster, die Feridun Zaimoglu und Günter Senkel im Auftrag der Kammerspiele zum „Alpsegen“ vom Land in die Stadt München beschworen haben. Was es dort will und soll, weiß das Autoren-Duo ebenso wenig wie der Uraufführungs-Regisseur Sebastian Nübling. Er inszenierte einen miefig-religiösen Spuk, der nur nach bayerisch-folkloristischer Geisterbahn aussieht.
Die Anbindung an die Stadt, in der er arbeitet, ist für den Kammerspiele-Intendanten Johan Simons ein Credo: Deshalb sollte dieses Stück mit München und Bayern zu tun haben. Der durch seine „Othello“-Bearbeitung skandalerprobte „Kanaksprak“-Autor Feridun Zaimoglu hat einige Jugendjahre in München verbracht. Aber München spielt hier außer wenigen Seitenhieben auf seine Bewohner, das Oktoberfest und Wirtshausklischees kaum eine Rolle. Zaimoglu/Senkel haben auch keinen Theatertext geschrieben, sondern, so der Untertitel, „Ein Erzählstück für die Bühne“. Den sucht Nübling durch Über-Illustration für die Bühne zu retten - vergeblich.
Groteske Figuren schleppen sich raunend in die Boazn, die unter einem plüschig-grünen Vorhang-Portal nur aus ein paar Stühlen besteht (Bühne: Muriel Gerstner). Ein Stammgast (Michael Tregor) erwacht ab und zu für Kalauer aus dem Koma, und die Wirtin (Gundi Ellert) ist vertraut mit Glauben und Aberglauben: Jede Nacht wedelt sie heftig geil mit den Dirndl-Unterröcken, um den Heiland zum Mahl zu locken. Die ungebetenen Gäste heißen der fahle Gimpel, die Weiz oder die feurigen Männer, und ihre absurd erfundenen Sagen werden gelegentlich erzählt. Gegen andere Versuchungen kämpft der Familienvater Curd (Jochen Noch) in einem Hotelzimmer: Er ist mit dem schwulen Eisverkäufer Flavio (Kristof Van Boven) durchgebrannt und traut sich den Fehltritt nun doch nicht. Da kann Flavio noch so nackt herumturnen und fröhlich den Pimmel schwenken - die katholische Moral ist stärker. Immerhin machen die beiden Schauspieler aus dem altbacken-spießigen Boulevard-Coming-Out zum „Quando, quando“-Gedudel ein komisches Kabinettstück auf selbstfahrenden Rundbetten.
Die verlassene bigotte Ehefrau hat den Sohn nach München geschickt, um den entlaufenen Vater aufzustöbern. Für Max eine Flucht aus der familiären Verkorkstheit. Benny Claessens spielt ein bleiches, verkrampftes Halbgespenst, das in Fräulein Cecilia seine Liebe findet. Leider ist das selige Fräulein eine Seele, also tot, was Wiebke Puls aber nicht hindert, dem unseligen Max ganz diesseitig mit Haarshampoo an und unter die Wäsche zu gehen und ihn mit einer onanistischen Melk-Show um den Verstand zu bringen. Danach weiß Max, wo er hingehört: ins Jenseits. Aus undurchschaubaren Gründen hat Cecilia nach Nüblings Willen zahlreiche Wiedergänger, alle mit ihrer Loreley-Perücke und dem Nonnenzöglings-Kleidchen (Kostüme: Eva-Maria Bauer). Die versammeln sich am Ende wieder zur einer Prozession mit Stühlen auf den Schultern, die ihnen dann vors Gesicht rutschen. Eine der wenigen verstörend schönen Szenen dieser bemüht rätselhaften Geisterbeschwörung, die hauptsächlich einen dumpf-verschwitzten, ekstatisch-hysterischen Katholizismus bebildert. Trotz altväterlichen Text-Geraunes sowie düsterer Nacht- und-Nebel-Atmosphäre ist das angestrengte Spuk-Geschwurbel nicht mal so unheimlich wie eine Geisterbahn-Fahrt und ebenso schnell vergessen. Danach kann man zum Trost Glucks „Reigen seliger Geister“ hören.