"Niemandsland" von Dries Verhoeven
Mit den Kammerspielen zum Betroffensein ins Bahnhofsviertel
Wo ist Niemandsland? Da, wo Flüchtlinge in einem fremden Land ankommen und nicht heimisch werden dürfen, weil die deutsche Bürokratie sie jahrelang in Asylantenheime einsperrt und ihnen die Integration in den Alltag verwehrt. Das ist nicht die Meile südlich des Hauptbahnhofs, auf der man im neuen Stadtraum-Projekt „Niemandsland“ der Kammerspiele mit Kopfhörer einem Guide hinterher trottet.
22 Migranten führen einzeln je einen Besucher eine Stunde lang wortlos zur Theresienwiese. Ihre potenzielle Vergangenheit erzählt der Kopfhörer. Der vorgebliche „Stadtrundgang“ steht wohl einfach fürs Bild des Reisens, Weggehens und Ankommens. Denn die stummen Lotsen erzählen nichts über ihren Blick eines Fremden auf die Stadt.
Und auch nichts über ihr eigenes Flüchtlingsschicksal.
Der niederländische Regisseur Dries Verhoeven konfrontiert in „Niemandsland“ den Zuschauer eins zu eins mit einem Migranten: Authentizität soll Empathie erzeugen. Am Bahnhof müssen sich die Besucher in einer Reihe aufstellen, das Namensschild ihres Guides vor der Brust, wie für ein Polizeifoto. Was sie im Bahnhofstrubel zu misstrauisch beäugten Fremden macht, bis sie ihr Guide höflich abholt. Er bleibt sprachlos auf Distanz, seine mögliche Geschichte kommt aus dem Kopfhörer. Auf der Straße hält der Guide ab und zu inne für Blickkontakt oder untermalt die eingestreuten klassischen Musikzitate mit dirigierenden oder rhythmischen Gesten, ungeachtet befremdeter Passantenblicke.
Verhoevens Team hat aus den Gesprächen mit allen Migranten offenbar eine männliche und weibliche Standardversion erarbeitet. Die bleibt - ein raffinierter Kunstgriff - immer im Konjunktiv: „Ich könnte Ihnen jetzt sagen, dass…“ Das beginnt harmlos beim mühsamen Einleben in eine völlig neue Umwelt bis hin zu grausamen Mord- und Folter-Erinnerungen – immer nur eine Möglichkeit im Konjunktiv. Was im Kopf des Hörers viele Perspektiven eröffnet über das wirkliche Schicksal seines Guides. Man hofft, dass er das nicht selbst erleben musste, stellt sich aber vor, er habe es erlebt. Was authentisch ist, erfährt man nicht – das frustriert und distanziert. Ich hätte Eliane gern danach gefragt. Aber Kommunikation ist nicht vorgesehen. Nur Betroffenheit.
Was der Besucher hinterher daraus macht, ist seine Sache. Was es den beteiligten Migranten bringt, weiß man auch nicht. Da drängt sich das böse Gefühl auf, dass das Theater mit solcher seriellen Vermarktung von Flüchtlings-Schicksalen zwischen Doku und Verallgemeinerung nur sein und unser schlechtes soziales Gewissen beruhigen will. Wir sind ja so mitfühlend im Niemandsland!
Bis 15. Juni 2014, 17, 20, 22 Uhr, Sa/So auch 15 Uhr (Treffpunkt Hauptbahnhof, Empore, DB-Lounge), Telefon 233 966 00