Europäischer Glanz für ein Münchner Theaterfestival - Ein Rückblick auf "Radikal jung"
Die Augenringe bilden sich langsam zurück, das Volkstheater hat die verkauften Tickets ausgezählt, und Regisseurin Nicole Oder ist mit den 2500 Euro Preisgeld für „Arabqueen wieder im „Heimathafen Neukölln“ in Berlin eingelaufen. Zeit für eine kleine Nachbetrachtung der siebten Auflage des „Radikal jung“ Festivals am Münchner Volkstheater.
Kenner des Festivals waren schockiert: Nach schätzungsweise 103 Prozent Auslastung im vergangenen Jahr kam das Treffen der jungen Regisseure heuer nur auf etwas über 92 Prozent verkaufter Karten. Sollte das Interesse an diesem wirklich bemerkenswerten Festival schon nachlassen?
Ganz so schlimm war’s dann doch nicht, „Radikal Jung“ hatte halt einfach seine Grenzen erweitert. Es waren mehr Aufführungen heuer, eine große Herausforderung für diejenigen, die alles sehen wollen. Irgendwann fordert der Termindruck seinen Tribut.
Zu Nachtkasterl und großem Haus war zudem die Reithalle als dritter Veranstaltungsort gekommen, weit weg von der Brienner Straße und als Bühne auch noch gar nicht so richtig im Bewusstsein verankert.
Einige der ausländischen Produktionen zogen auch nicht hundertprozentig. Hier dämpfte die Angst vor fremdsprachlicher Überforderung die Nachfrage. Eine unnötige Befürchtung; denn die Geschichte von „Bog je Di DZej – Gott ist ein DJ“ – das Falk-Richter-Stück in der Fassung des Theaters „DuŠko Radovic“ aus Belgrad – erschloss sich dank der beiden hervorragenden Hauptdarsteller von selbst, auch ohne Kenntnis der serbischen Sprache und gute Sicht auf die Übertitel. Und Fabrice Murgia kommt zwar aus Brüssel und spricht französisch, sein „life : reset“ aber kam ohne gesprochene Worte aus. Beide Stücke hätten noch mehr Zuschauer verdient gehabt.
Die wichtigste Feststellung aber war: Die Jury mit der Schauspielerin Anette Paulmann, C. Bernd Sucher und Volkstheater-Chefdramaturg Kilian Engels hat mit dem Schritt über die deutsche Sprachgrenze hinaus eine richtige, eine wichtige Entscheidung getroffen. Wie nie zuvor konnte der fleißige Festivalgänger seinen Blick aufs Theater weiten und Horizonte öffnen. Die europäische Perspektive hat einem ohnehin schon gut eingeführten Festival nochmals mehr Glanz gegeben.
Es war Faszinierendes zu beobachten. Beispielsweise gibt es in England diese typisch deutsche Herrschaft der Regie über den Text nicht. Texttreue? In ihrer britischen Intensität hier in Deutschland undenkbar. Ebenso wie „life: reset“: Ein junger belgischer Regisseur behauptet, dass er mit Ironie auf der Bühne nicht viel anfangen kann – und überzeugt mit beeindruckenden Inszenierung. Bei so viel Ehrfrucht und Ernst bot sich der Kontrast mit „Vatermord“ nach dem Stück von Arnolt Bronnen an. Robert Borgmann nutzte in seiner Leipziger Inszenierung den ursprünglichen Text nur noch als Gerüst und baute in seinen deutschen Kreuzgang eine Unmenge anderer Personen und Fetzen der kollektiven Erinnerung ein. Die Schauspielerin Franziska Bronnen, die Tochter des Autors, wird bei ihrem Besuch im Volkstheater Borgmanns wüste Collage nur bedingt genossen haben.
Da kamen Fabrice Murgia, der Serbe Milos Lolic und auch Caroline Steinbeis mit ihrer Londoner Aufführung letztlich demütiger und ernster rüber. Und man fragte sich, warum die Deutschen zumindest auf der Bühne ihre Autoritäten und Überväter so systematisch zerlegen. Kriegserfahrungen, Scham über die eigene Obrigkeitshörigkeit, Hass auf den Übervater der deutschen Geschichte, jenen Adolf Hitler, der ja in „Vatermord“ leibhaftig getötet wird, um gleich wieder aufzuerstehen? Mit "Arabqueen" und "Verrücktes Blut" gelang außerdem der Nachweis, dass gesellschaftlich drängende Fragen durchaus auf der Bühne verhandelt werden können. Kurzum, „Radikal Jung“ bot und bietet weiterhin sehr viel Stoff für Diskussionen.
Empfohlen hat sich übrigens die Reithalle: ein schöner Theaterraum, mit viel Atmosphäre. Gehört auf jeden Fall noch öfter bespielt, noch bevor im nächsten Jahr das Gärtnerplatz einige Produktionen dorthin auslagert. Auch das eine Entdeckung dieses Festivals.