Die Neugestaltung der Welt
Piet Mondrian: ZEEWS(CH)E KERKTOREN (Kirchturm in Zeeland), 1911. © 2011 Mondrian/ Holtzman Trust c/o HCR International Virginia USA
Wegbereiter der Moderne, in einer Zeit, da man noch an die Verwirklichung von Utopien glaubte: „Piet Mondrian und de Stijl“ gastieren im Kunstbau des Lenbachhauses am Königsplatz. Es ist die erste große Ausstellung, die der Avantgardgruppe in Deutschland gewidmet ist.
Zumindest mode- und styling-bewusste Menschen werden schon ein Stück Mondrian in der Hand gehalten haben oder zumindest Zitate von ihm kennen: Auf Haarspraydosen prangen jene berühmten bunten Rechtecke, die für Funktionalität, Modernität und Eleganz zu stehen scheinen. So kurzlebig die Haarmode war, die sich in den 80er Jahren mit der Stützkraft jenes Sprays etablierte, so lang anhaltend ist der Einfluss, den die Gruppe „De Stijl“ um Piet Mondrian und Theo van Doe-burg ausübte. Abgesehen vom „Bauhaus“ (mit dem „De Stijl“ bei allem Trennenden verzahnt war) habe keine andere künstlerische Bewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts den Alltag so beeinflusst wie die 1917 in Leiden gegründete Gruppe von Avantgardisten aus mehreren Ländern, sagte Lenbach-Chef Helmut Friedel. Diese Alltagstauglichkeit dürfte durchaus im Sinne von Doesburg und Mondrian gelegen haben, ging es ihnen doch um die „Neue Gestaltung“ sämtlicher Bereiche der Lebenswirklichkeit, von der Architektur über das Design bis hin zu Film und Literatur: die „Entgrenzung der Kunst“ war eines der Anliegen der Gruppe, die in der Zeitschrift „De Stijl“ ihr Sprachrohr etablierte. Dieser Wille zur Neu- und Umgestaltung zeichnete nicht nur „De Stijl“ und „Bauhaus“ aus, er lag im Zug der Zeit – man denke an die Futuristen, man denke an die Schuh-Stadt Zlin, die Tomas Bata zum Schauplatz des vielleicht gewagtesten Sozialexperiments machte. Man denke aber auch an die Utopien des Kommunismus: Die Entgötterung der Welt schien die Neuschöpfung des Menschen in die Labore der Wissenschaftler und Ateliers der Künstler verlegt zu haben.
Piet Mondrian: COMPOSITION NO. VI / COMPOSITIE 6, 1914. © 2011 Mondrian/ Holtzman Trust c/o HCR International Virginia USA
Den auch teosophisch-esoterisch inspirierten Gestaltungswillen von „De Stijl“ belegt die Ausstellung im Kunstbau. Man sieht Möbel, funktional und von faszinierender Form, wenn auch wohl nicht immer bequem (wie sich beim Probesitzen herausstellt), Glasfenster, Entwürfe für Häuser und Wohnungen, Ausgaben der Zeitschrift „De Stijl“, Vilmos Huszárs „Mechanisch tanzende Figur“, Piet Zwarts Kinderkleider, so geschneidert, dass ein Kind sie selbständig, ohne Hilfe von Erwachsenen, anziehen konnte: der kleine, aber selbstbestimmte Mensch.
Die Uferlosigkeit, das fiebrige Ringen um das Gesamtkonzept (das so weit führen konnte, dass sich van Doesburg und Mondrian über die Berechtigung der Diagonalen stritten) ist der eine interessante Aspekt der Ausstellung in München. Der andere liegt in der Entwicklung Piet Mondrians, der für seine Rechtecke so bekannt ist wie Franz Marc für seine bunten Tiere. Quadratisch, praktisch, Mondrian? Er legte einen langen Weg bis zur konsequenten Abstraktion zurück und nahm viele Einflüsse auf, unter anderem von Jan Toorop, der sich einen Namen als Reklamemaler, aber auch als Mittelpunkt einer spätimpressionistisch gestimmten Künstlerkolonie machte. Mondrian zeigte sich allem aufgeschlossen: Erinnert sein „Wald“ von 1908 noch an Edvard Munch, zeigen sich schon ein Jahr später seine Bilder von Impressionisten und Pointillisten beeinflusst. Auch den Kubismus sucht er aufzunehmen, wie seine „Dünenlandschaft“ aus dem Jahre 1911 belegt.
Piet Mondrian: Komposition mit Rot, Schwarz, Gelb, Blau und Grau, 1921. © 2011 Mondrian/ Holtzman Trust c/o HCR International Virginia USA
Vor allem über Baumstudien – die Übergänge lassen sich in München dank der Leihgaben des Gemeentemuseums Den Haag bestens studieren – entwickelte sich Mondrian immer konsequenter in die Abstraktion als Bildsprache der „Neuen Gestaltung“: Keine Projektionsfläche für das Individuelle, kein Rest von Naturalismus mehr, sondern die reine Abstraktion mit geraden Linien und in Primärfarben. Da hat einer Farben und Formen diszipliniert wie niemand zuvor, so scheint es auf den ersten Blick. Beim näheren Hinsehen entdeckt man Abweichungen. Die Farben changieren, die Linien sind mal dicker, mal dünner und verblassen zum Bildrand hin. Es ist, als habe sich da der Blick eines Architekten durchgesetzt, der weiß, dass Licht einen Raum nie gleichmäßig ausleuchtet. Mondrian in München: Der auf Reisen befindliche Blaue Reiter hat eine gute Urlaubsvertretung gefunden.
Mondrian und De Stijl, bis 15. August Lenbach Kunstbau, dienstags bis sonntags 10 bis 18 Uhr, Katalog 39,80 Euro