Einer flog aus der Bundesliga
McMurphy weiß was: Jan Viethen, Johannes Schäfer, Jean Luc Bubert, Max Wagner und Justin Mühlenhardt. Foto: Arno Declair
Rein kommen sie alle, raus aber nur die Stärksten: Simon Solberg inszeniert am Volkstheater "Einer flog übers Kukucksnest" - mit so viel Tempo und so vielen Gags, dass man am Ende die rote Linie vermisst.
Was eigentlich ist so irre daran, unbedingt Fußball-Bundesliga im Fernsehen anschauen zu wollen? Nichts, wenn man nicht grad Fan von Wolfsburg oder Frankfurt ist. McMurphy (Jean Luc Bubert) allerdings bekommt ein Problem mit seinem Wunsch, seine Minirevolte in der Klapsmühle scheitert. Auch wegen seiner passiven Mitstreiter, den Patienten in der Heilanstalt: Die Weicheier fügen sich einfach den Anweisungen der allgewaltigen Schwester, die als Automatenstimme vom Band mitspielt. Nix wird’s mit der Sportschau: Bettruhe!
Unser Problem sind nicht die Verrückten, unser Problem sind die Normalen: Wir bräuchten nicht den Text von Manfred Lütz im Programmheft, ja nicht einmal die Erfahrung von Dürrenmatts „Physikern“, um festzustellen, wo der wahre Wahnsinn herrscht: In den Vorstandsetagen der Banken, in der Politik, in den Medien. Wir wissen es ja, es genügt, den Fernseher von Zeit zu Zeit anzuschalten und den Nachbarn oder uns selbst mal genauer zuzusehen.
Ken Keseys Geschichte von dem einen, der übers Kukucksnest flog, kommt im Volkstheater locker flockig wie in der eben beschriebenen Szene rüber. Eine Anspielung jagt die nächste, Spekulanten, Fukushima, Integration, Sarrazin, stupide Arbeitswelten – unsere Umwelt ist echt daneben. Die geistige Gesundheit wohnt in der Gummizelle, schon, weil's da so schön weich ist für all die Schlawiner, Weltflüchtlinge, Simulanten, die uns da einen unterhaltsamen Abend bescheren. Richtig krank ist dagegen das Regime der kranken Schwester Rached, der so trefflich eingesetzten Automatenstimme.
Mit der Gesamtschau auf den Wahnsinn dieser Welt aber hinkt auch die Inszenierung. Wo der Roman und der Film von „Einer flog übers Kukucksnest“ ein diffiziles Kammerspiel aufziehen, ähnlich scharf an der Trennlinie zwischen Normal und Anormal wie die Kriegssatire „Catch 22“, haut Solberg auf alles, was sich bewegt – und trifft eben nicht immer. Mit Slapstick werkeln sich die Darsteller durch den öden Tagesablauf in der psychatrischen Station. Es gäbe Geschichten zu erzählen, etwa die von Billy Bibbits (Justin Mühlenhardt) tragisch scheiterndem Aufstand. Da können die Schauspieler machen, was sie wollen: Kaum begonnen, verwirrt sich der Faden der Geschichten wieder im Feuerwerk der Gags. Es hat schon was, wenn Bubert als McMurphy subversiv-spaßig den Haufen und den Klinikbetrieb aufmischt oder Johannes Schäfer den Irrsinn der Welt rappend kommentiert. Nur: In all der hektischen Bespaßung bleibt vieles Episode.
Befreien aus diesem Irrenhaus kann sich jeder nur selbst, jeder für sich. Özgür Karadeniz als Häuptling, beziehungsweise „Talibanese“, beweist genau dies in einigen der besten Szenen dieses Abends: Am Anfang verwirrt, verängstigt, geradezu paranoid, kanakisch redend, führt er seinen Aufstand konsequent zum Erfolg: Ganz für sich, in klarster Sprache, in sich ruhend, bahnt er den Weg zum Ausbruch. Aber der ist dann wieder was für alle und für niemanden: Mit McMurphys Antlitz als Maske, als Graffity, immer und überall: Der Wahnsinn hat uns wieder. Und das ist wohl Murphys wahres Gesetz.
- Alptraum mit hohem Unterhaltungswert
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