Der Unstern unter den politischen Magazinen: 50 Jahre "Panorama"
Wutschnaubend tobte Franz Josef Strauß: "Es waltet ein Unstern über der Sendung 'Panorama'!" Oskar Lafontaine bezichtigte das Magazin des "Schweinejournalismus" und Hildegard Hamm-Brücher nannte die Sendung sogar "schlimmer als Goebbels". Seit 50 Jahren streitet sich "Panorama" - das erste politische Fernseh-Magazin Deutschlands - mit den Mächtigen der Republik und sorgt für spektakuläre Enthüllungen und Skandale.
"Nun wollen wir uns ein wenig mit der Regierung anlegen", so der legendäre Satz von Gerd von Paczensky (heute 85), dem ersten Redaktionsleiter des am 4. Juni 1961 gestarteten Magazins. Besonders gern schoss er gegen Franz Josef Strauß. 1962 forderte "Panorama" im Zuge der Spiegel-Affäre gar den Rücktritt des damaligen Verteidigungsministers. Ein halbe Jahr später nahm Strauß tatsächlich seinen Hut. Aber auch von Paczensky kostete die Affäre den Job. Sein Vertrag wurde 1963 nicht verlängert. Rüdiger Proske und Joachim Fest ereilte später das gleiche Schicksal. Auch sie mussten nach kritischen Berichten auf Druck der Politik ihre Chefposten räumen.
Einmal aber bekam die Redaktion schon im Vorfeld einen Maulkorb verpasst. Alice Schwarzers Film über den Abtreibungsparagrafen 218 nahmen die ARD-Chefs kurzfristig aus dem Programm. Redaktionsleiter Peter Merseburger kippte deshalb die ganze Sendung, die Redaktion streikte. Eine Stunde lang wurde das leere Studio gezeigt. "Tagesschau"-Mann Jo Brauner verlas die Texte. "Diese Zensur hat international Wellen geschlagen", erinnert sich Schwarzer heute. Auch ein Interview von ihr blieb unvergessen: Schwarzer fragte 1974 Willy Brandt, ob er auch Bundeskanzler geworden wäre, wenn er als Frau auf die Welt gekommen wäre. Seine trockene Antwort: "Das ist eher zu bezweifeln."
Es waren kämpferische Köpfe, die "Panorama" prägten. Der spätere "Spiegel"-Chef Stefan Aust arbeitete 14 Jahre lang für das Magazin. Heute sagt er: "Ich habe nie in meinem Leben so viel gelernt wie in den Jahren von 'Panorama'." Aust war es, der 1978 zwei Todesurteile fand, die Hans Filbinger, damaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg, während der Nazi-Zeit unterschrieben hatte. Fast noch berühmter ist ein Aust-Bericht, den die ARD nie gezeigt hat: 1982 potraitierte er einen Verfassungsschützer, der eine Terrorgruppe aufbauen wollte. Der Film verschwand kurz vor der Ausstrahung und ist nie wieder aufgetaucht. "Hat jemand Interesse daran, diesen Film, in dem auch Bayerns Innenminister Gerold Tandler interviewt wurde, verschwinden zu lassen?", fragte damals die Münchner "Abendzeitung".
Einmal wurde es für den gesamten Sender richtig bernzlich: Vor allem die "Panorama"-Berichterstattung über das geplante Kernkraftwerk Brokdorf verärgerte die schleswig-holsteinische Regierung so, dass sie 1978 den NDR-Staatsvertrag kündigte. Niedersachsen zog nach. Erst zwei Jahre später hob das Bundesverwaltungsgericht die Kündigungen wieder auf. Und der NDR überlebte.
Leiser geworden ist "Panorama" nie, da können die Mächtigen klagen, so viel sie wollen. Nach wie vor machen die Reporter jede Menge Kravall, sei es mit Enthüllungen über den BND - er soll 2003 der US-Armee in Bagdad Informationen geliefert haben - oder mit dem Vorwurf, die Billigkette KiK beute ihre Mitarbeiter aus. Aktuell fährt "Panorama" auch immer wieder dem einflussreichen Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer mächtig an den Karren. Erst im April behauptete "Panorama", Maschmeyer habe den früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder im Wahlkampf 1998 weit stärker unterstützt als bislang bekannt. Etwas aber hat sich verändert, freut sich Moderatorin Anja Reschke: "'Panorama'-Köpfe rollen heute keine mehr."
Angelika Kahl
"50 Jahre Panorama", heute, 22 Uhr, ARD, "Unbequem und unbestechlich" Dokumentation, heute, 23.15 Uhr, NDR