Poetisch und berührend

von kulturvollzug

Berührender Start ins 12. Internationale Tanzfestival „Dance“ in München: Die Kanadierin Louise Lecavalier bestätigte in einer Doppelperformance im Gasteig ihren Ruf als Ausnahmetänzerin.

Es gibt Zeitgenossen, die behaupten, das Gasteig sei eine Kultur-Trutzburg, düster und wuchtig. Wer derlei böse Attribute im Hinterkopf hatte, vergaß sie bei diesem beeindruckenden Start von Dance schnellstens. Wen juckt das Draußen, wenn es drinnen so abgeht: heimelig, innig, poetisch und berührend, dank der Performance von Louise Lecavalier, die mit Patrick Lamothe und Elijah Brown „Children“ und „A Few Minutes of Lock“ auf die Bühne des Carl-Orff-Saals zauberte.

Es war ein konzentrierter präziser Auftritt, von großartiger Ruhe, ohne Klimbim, einer von der Art, der breiteres Publikum an den Tanz heranführen könnte. Im herabgedimmten Licht schnurrte der gar nicht so kleine Carl-Orff-Saal fast schon zur Kammerspiel-Atmosphäre zusammen. Auf der Bühne entfaltete Louise Lecavalier mit Tanzpartner Patrick Lamothe ihren Zauber: Zwischen Annäherung und Entfremdung in einer Beziehung, Liebe und Abneigung, Spiel und Ernst. Denn da gibt es ja noch die Hoffnung auf ein versöhnendes Element: Aufbruch und Bangen, Suchen und Finden – „Children“ eben, eine Rückkehr in eine Zeit, in der alles möglich scheint und die Welt seltsam verzaubert, und in der jeder Song das Zeug zum lebenslangen Lieblingssong hat (Choreographie Nigel Charnock).

Womöglich noch stärker fiel die zweite, wesentlich kürzere Hälfte „A Few Minutes of Lock“ (Choreographie Édouard Lock) aus: Präzis und nahezu schwerelos maß die große kanadische Tänzerin zusammen mit Elijah Brown zur Musik von Iggy Pop den Bogen zwischen heute und der Vergangenheit aus. „An was kann sich der Körper erinnern“? Das ist der spielerische Leitfaden dieser Choreographie,  die im harten Wachsel zwischen Schatten und sparsam gebrauchtem Licht kurzlebige und doch faszinierende Plastiken aus Bewegung schafft, spannungsreich und doch voller Poesie. Time Codes lautet das Motto des Tanzfestivals. Bei diesem beeindruckenden Auftakt befand sich der gebannte Betrachter stets im hier und jetzt.

Jan Stöpel

Veröffentlicht am: 23.10.2010

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