Bayerischer Balkan im Heimathafen
Erst das vergeigte Serbenspiel bei der WM, dann eiskalter Regen über dem zum Himmel offenen Parkdeck von Puerto Giesing, wo schon seit Wochen auf das geheimste aller geheimen Geheimkonzerte Münchens gewartet worden war. Nun parkte der Kleinbus der Chiemgauer Volks-Brass-Techno-Szene-Superstars von La Brass Banda neben den vom Kulturreferat bereitgestellten Bühnenbauten in Münchens derzeit meistgehypter Kunst-, Kultur- und Partylocation, dem stillgelegten (und nur für wenige Wochen noch nutzbaren) Hertie an der Tegernseer Landstraße. Das Geheimkonzert war via Facebook und Twitter so sehr bekannt geworden, dass eine lange Schlange verzweifelt um Einlass bettelnder Menschen auf der Straße stand. Trotzdem war wenige Minuten vor dem Konzertbeginn um 19 Uhr der Platz vor der Bühne noch fast völlig leer – Regen und Kälte ließen das auf 500 Köpfe limitierte Publikum so lange wie möglich im Inneren des Kulturhafens ausharren.
Dann geschah das Woodstock-Wunder: Mit dem ersten „Brass Banda“-Trompetenstoß stoppte der Regen, und es blieb genau bis zum lärmschutzauflagenbedingten Schlussakkord anderthalb Stunden später tatsächlich einigermaßen trocken. Und plötzlich war doch noch das Gefühl da, dass hier und heute etwas Besonderes passieren könnte. Auch Sänger und Trompeter Stefan Dettl hatte angesichts der Moderatorenansagen vom live übertragenden Radiosender Bayern 2 offenbar das Bedürfnis, nochmal die Richtung vorzugeben: „Ned, dass ihr moants, des wird heut so a spießige Gschicht. Des wird a Vollgas-Draufhau-Konzert!“
So kam es dann auch, einigermaßen: La Brass Banda hauten drauf, die Szene machte auf große, tanzende Familie. Beim zweiten Stück, „Schuikallier“, entledigte sich Schlagzeuger Manuel da Coll seiner „LA-Dico“-Glitzerjacke („Sorry wegen dem Outfit, aber des ging ned anders...“), dann konnte sozusagen ein klassisches La-Brass-Banda-Konzert beginnen, das höchstens etwas straffer durchgezogen und etwas weniger improvisiert war als ihre sonstigen Auftritte. Die übergroße Live-Routine dürfte inzwischen wohl das größte Problem der Band sein, und ihr größtes Verdienst ist es, diese immer noch fast vollständig hinter ihrer Live-Lust verstecken zu können. Der „Bayerische Techno“ hatte den nötigen Bumms, nur die sonst so besonders wunderbare „Ringlbleame“ war ein wenig konturlos, und der Witz mit dem Jodler („Nicht schön, aber wahnsinnig brünstig“) ist allmählich etwas abgenudelt.
Nach einer kurzen Programmpause marschierte die Band barfüssig durch die Pfützen (und die Glasscherben!) auf dem Parkdeck, während Kulturaktivisten Unterschriften für den Erhalt des „Schwere-Reiter“-Geländes sammelten, Giesinger Hausbesitzer in der Nachbarschaft an den Schornsteinen auf dem Dach ihrer Häuser saßen, um einen Blick aufs Parkdeck werfen zu können, und ein Baby hinter einem Fenster an der Ichostraße der ganzen Szenerie verwundert zuwinkte. Die Band mag sich gefragt haben, warum plötzlich ein Großteil ihres Publikums an der Bühne vorbei zurückwinkt – aber in dem Moment war einfach das Baby der Star.
Dann gaben La Brass Banda mit den Zugaben nochmal Vollgas mit „Autobahn“, „Natalie“ und der bekanten „Move It“-Adaption. Dort wo Giesing ausschaut wie Istanbul – alte Betonburg neben kleinteiligem Verfall und frisch installierten Solarzellen – war der bayerische Balkan doch noch besonders schön geworden. Und weil's weiterhin kalt war und abermals feucht wurde, verlagerte sich die Party für den Rest der Nacht endgültig in den dicken Bauch des Puerto.
Karl-Ludwig Mühlhaus
(Der Autor ist freier Mitarbeiter des Kulturvollzug)