Drinnen wohnt die Angst - zu den Installationen auf dem Transport-Festival
Raus aus dem Theatersessel und rein ins Abenteuer – das "Transport-Festival" im "Schwere Reiter" gibt es seit fünf Jahren, und noch immer sucht es tapfer nach alternativen Theaterformen. Dass diese Suche klug und unterhaltsam zugleich sein kann, konnte man bei den temporären Installationen von Barbara Balsai, Cora Frost und Christoph Theußl erleben.
Draußen ist da, wo drinnen aufhört. Zum Beispiel an der Fensterscheibe. Barbara Balsei ignoriert diese Schnittstelle und macht sie so zum Thema ihrer Performance-Lecture „Unter Umständen befinden wir uns in einer Starbox“: Das Publikum sitzt draußen an der frischen Luft, die Autorin und Künstlerin hat drinnen im Eingangsbereich des Pathos, direkt hinter der Fensterscheibe, Platz genommen.
Im Raum steht ein Tisch, an diesem sitzt ein Mann mit nacktem Oberkörper und Lockenkopf, beides golden besprüht, vor ihm ein Schachbrett. Ein Lautsprecher trägt nach draußen, was drinnen zu hören ist: Musik. Alle möglichen Stücke und Genres werden angespielt – jeder Anfang eine Möglichkeit, aber aller Anfang ist schwer, also wird erstmal über das Anfangen an sich nachgedacht: „Für die Mitte wäre ein passender Anfang ein Gedicht“. Und tatsächlich taucht in der Mitte der Erlkönig auf, aber davor wird ausgiebig über „Territorium und Identität“ philosophiert: imperialistische Kräfte, Handtücher am Strand, Identität, Angst…
Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen. Barbara Balsai wandert in ihrem Kopf umher und sammelt dabei Gedanken wie bunte Steine vom Boden auf. Aus diesen Steinen legt sie ein Textmosaik, eine Art „stream of thinking“ – in sich schlüssig, aber schon wenige Minuten später nicht mehr nachvollziehbar, weil ohne abschließendes Ergebnis und überhaupt eher einem subjektivem Sinn als den Gesetzen der Logik folgend.
Aber darum geht es auch gar nicht. Obwohl die Autorin gleich sechs intellektuelle Paten, zum Beispiel den Philosophen Gilles Deleuze oder den Psychoanalytiker Jacques Lacan, als Inspirationsquellen nennt und der Text mitunter klingt wie frisch aus dem Bachmann-Literaturwettbewerb, bleibt die Performance nicht in der Theorie des Vortragens stecken, sondern fordert die Zuschauer ziemlich bald zum Reinkommen und Mitmachen auf. Keiner muss, alles kann, und so endet der gemeinsame Denkausflug drinnen und in einem zauberhaft absurden Stimmengewirr aus Sätzen wie: „Was kommt nach dem Poststrukturalismus?“ Wer mag, kann ja mal nachschauen, ob er in seinem Kopf zufällig eine Antwort findet.
Auch die in Berlin lebende Sängerin und Künstlerin Cora Frost untersucht das paradoxe Verhältnis von Drinnen und Draußen. Gegenstand ihrer Installation „Über das Verschwinden – das Haus“ ist ein verlassenes Haus in Bremen, zu dem sie zufällig die Schlüssel bekam. Wir betreten das verwunschene Reich, begeben uns auf eine beunruhigende Reise, die in der Realität, also draußen im Haus beginnt und irgendwo im fiktiven Nirwana tief in uns drinnen endet: Ein kleiner Raum ohne Fenster, gedämpftes Licht, Musik läuft, in der Ecke parkt ein rotes Bobbycar, von der Decke baumelt eine Männerbadehose, auf einem Tisch liegt Alltagskleinkram scheinbar willkürlich nebeneinander, grellbunte Plastikblumen, Damenbinden, Musikkassetten.
Das alles sind reale Souvenirs, die Cora Frost aus dem geheimnisvollen Haus mitgenommen hat und nun in einen anderen Kontext stellt, sie so zu eigentümlichen Beweisstücken macht. Und sie hat das unscheinbare Reihenhaus fotografiert, jeden Raum, viele Details, die Bilder werden in einer Endlosschleife an die Wand projiziert: eine weiße Handtasche, bunte Nagellackfläschchen, Schränke voller Kleider, im Flur das rote Bobbycar.
Die Bilder sind beklemmend, Fragen tauchen auf, die Denkmaschine läuft an und versucht, die unheimliche Leere mit möglichen Geschichten zu füllen. Natürlich sind es Versatzstücke aus Filmen und Büchern, und nicht etwa eigene Erfahrungen, die unsere Phantasie zum Schäumen bringen: Eine vierköpfige Familie, vermutlich osteuropäischer Abstammung, ist überstürzt aufgebrochen, hat alles zurückgelassen. Schon geht der „Tatort“ los. Es gibt ein kleines Buch, in das die Besucher ihre Gedanken schreiben können, und die meisten denken sich ein Happy End aus, oft irgendwas mit Neuanfang. Sieht ganz so aus, als verhielte sich die Sehnsucht nach einem glücklichen Ausgang direkt proportional zur Angst, die diese kleine rätselhafte Installation in uns auslöst. Zurück bleibt eine allgemeine Verunsicherung der eigenen Wahrnehmung, denn unsere fiktiven Geschichten erzählen vor allem von uns.
Der österreichische Künstler und Musiker Christoph Theußl hat seine Installation gleich ganz im imaginären Raum angesiedelt: Willkommen im fiktiven Flüchtingslager! Erstmal umschauen, orientieren. Ein großer Raum, Feldbetten, ein Tisch mit Wasserflaschen, aha, da liegt jemand und schläft. Stille. Plötzlich steht ein Mann mit Maske und Messer im Weg. Wer sich eine der zehnminütigen Einzelperformances gönnt, kriegt erstmal einen kleinen Schreck verpasst.
Ein gelungener Einstieg, denn sofort ist man ganzkörpergelockert und offen für alles, was da noch kommen mag. Doch nachdem Maske und Messer verräumt sind und sich Gerhard, der Flüchtling, vorgestellt hat, beginnt der entspannte Teil. Wer mag, bekommt einen Becher Tee „Pure Lebensfreude“, und Gerhard erzählt aus seinem bewegten Leben als Flüchtling. Ein bisschen Nonsens, ein bisschen Palaver, ein bisschen kritische Masse und zum Abschluss ein bisschen Musik.
Das macht Spaß und ist ziemlich schnell vorbei. Wer noch nicht wieder raus will in die Realität, darf sich auf eines der Feldbetten legen und stumme Flüchtlingsstaffage bei der nächsten Einzelperformance sein: zu beobachten, wie unterschiedlich die Besucher reagieren, ist natürlich wunderbar und erzählt einem hintenrum einiges über das eigene Verhalten. Doch irgendwann versendet sich dieser Spaß, und man kann Raum und Zeit nutzen, darüber nachzudenken, wie es wohl ist, ein fiktiver Flüchtling zu sein. Christoph Theußl alias Gerhard hat das mit seiner Installation „Der vergessene Flüchtling“ ausprobiert, und wohnte vier Tage in seinem Lager.
Barbara Teichelmann