Surreale Reise ins Ich: Naoko Tanaka zeigt beim Pathos Transport Festival „Die Scheinwerferin“
Schon klar. Im Innern des menschlichen Körpers gibt es Adern, Knochen, Organe und so fort. Aber das, was man findet, wenn man zur Geisterstunde mit einer Taschenlampe bewaffnet in die eigenen Eingeweide reist, sieht ziemlich anders aus. Das ahnte jeder für sich alleine schon immer, und das beweist auch Naoko Tanaka mit ihrer Performance „Die Scheinwerferin“. Nie war eine Selbstreflektion so surrealistisch, so punktgenau und dabei gleichzeitig so unterhaltsam.
Tanaka hat enge Berührungspunkte mit der Tanzszene. Sie hat also ein berechtigtes Interesse an Händen und Füßen, wenn sie zunächst wie ein Arzt ihr eigenes Puppenabbild untersucht. Die Besucher kommen ausnahmsweise einmal durch die mittlere Bühnentür des Schwere Reiter, die schon für so viele, charmante Effekte diente – eine wunderbare Idee. Während sie die Bühnenszenerie mit Seziertisch, Naoko-Puppe, Glühlampe und einer seltsamen Landschaft aus Haushaltsgegenständen passieren, erkennen sie schon auf dem Weg zum Sitzplatz, dass die Künstlerin den eigenen Leib erforscht. Neue Blickwinkel sind also Programm. Und schon sehr bald folgt der entscheidende Aspekt: der von innen.
Tanaka fährt durch ihren Kopf-Körper – also das, was das limbische System als Bilder und Klangszenarien zum Thema „materielles Ich“ abgespeichert hat – wie ein Zug durch die Nacht. Sie wirft geheimnisvolle Besteck-Landschaften an die Schattenwand, gruselige Mangrovenwälder aus dem rasenden Herzen, oder chaotischen Filmbandsalat. Und das alles, indem sie mit der Taschenlampe durch eine am Boden installierte Menagerie des Alltags fährt. Begleitet von Eisenbahnrattern wird Belangloses riesengroß, und Unwichtiges wichtig. Der Körper, zumal einer Tänzerin, ist eben eine eigene Welt mit eigenen Gesetzen. Er fühlt, er nimmt anders wahr, er merkt sich Dinge, die der Kopf nicht nur vergisst, sondern oft gar nicht bemerkt. Sich das in so betörenden Bildern bewusst machen zu dürfen, ist ein Glücksfall. Zumal Tanaka nach treffsicheren 40 Minuten das Ende findet.
Doch auch ihre Technik fasziniert. Unglaublich, wozu sich die bellenden Hunde, die unsere Väter und Mütter einst an die Wand warfen, alles verwandeln können. Wie lange muss die Künstlerin vor ihren Stöcken, Gabeln und der Ich-Puppe zur Probe herum gerobbt sein? Dafür, dass sie sich auf das Niveau von Platons Höhlenmenschen begeben hat, die im Interpretieren von Schatten wetteifern, gebührt ihr Applaus.
Immerhin folgt sie mit ihrem Ansatz auch einer wissenschaftlichen Theorie, die derzeit immer populärer wird: Alles, was wir sehen, ist nur die Windows-Oberfläche einer Wirklichkeit, die viel zu kompliziert für uns ist. Die Baustelle des eigenen Körpers zu durchschauen – das ist da nur eine Anfängerübung.
Isabel Winklbauer