Heiße Ware - das tims in Augsburg zeigt, was drunter und drüber anregt, aufregt, abturnt
Nackte Haut will zunächst verhüllt sein. Was durfte und darf wann gezeigt werden? Was war und ist drunter zu erwarten? Das Staatliche Textil- und Industriemuseum Augsburg, kurz tim, enthüllt das in der Ausstellung "Reiz und Scham - Kleider, Körper & Dessous".
Keine Frage: Karl-Heinz ist ein Klassiker. Feinripp, weiß. 41 Prozent der Männer, meist über 60 Jahre alt, geben an, eine Unterhose dieses Modells zumindest gelegenlich zu tragen. Interessant auch das leicht gemusterte Modell "Walter", das sich bevorzugt junge Männer über 50, die überwiegend SPD wählen, zutrauen. Schlabbrige Liebestöter, die aber offenbar von der Mehrheit der männlichen Bevölkerung getragen werden. Das wundert nicht, denn Marktforscher haben herausgefunden, dass Er sich in der Regel einmal für einen Unterhosentyp entscheidet, dem er dann jahrzehntelang treu bleibt. Hauptsache praktisch und bequem.
Glücklicherweise befasst sich die Augsburger Ausstellung nicht nur mit der die Unterbekleidung betreffenden männlichen Einfallslosigkeit, sondern widmet sich mehr dem Auspacken, der Verhüllung nackter Haut und der Enthüllung des weiblichen Körpers. Frau ist ganz anders. "Spieglein, Spieglein an der Wand - wer ist die Schönste im ganzen Land?" - etwas Schneewittchen ist auch heute noch. Dabei will Sie nicht nur sich gefallen, sondern sie sieht sich häufig in Konkurrenz mit anderen, der Kollegin, der Nachbarin. Sie macht sich viel mehr als Männer Gedanken darüber wie sie von anderen - natürlich auch von Männern - gesehen wird. Das hat auch die Bekleidungsindustrie mit ihrem vielfältigen Angebot an Kleidung und Unterwäsche für Frauen erkannt. Bereits die Versandhauskataloge oder nur die Werbebeilagen in den Tageszeitungen zeigen, dass für Frauen etwa dreimal so viele Unterwäschemodelle angeboten werden als für Männer.
Mit weit über 500 Exponaten versucht die Ausstellung in drei Abteilungen die Frage zu beantworten, was in den vergangenen 150 Jahren gezeigt werden durfte und was nicht. Sittlichkeits- und Tugendvorstellungen der jeweiligen Zeit spielen eine Rolle, das Verbergen und das Zeigen folgte immer gesellschaftlichen Regeln, die sich freilich im Lauf der Jahrzehnte gewandelt haben. Dem entsprechend sind in der Ausstellung die über die Jahrzehnte gewandelten Konventionen, die die jeweiligen Schamgrenzen definierten, zu bewundern.
Besonders interessant sind zwei Emanzipationswellen. Die Frauenrechtsbewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts verlangte eine Befreiung vom einengenden Korsett. Und tatsächlich brachten die 1920er Jahre eine Mode, die mehr zeigte als je zuvor: nackte Arme und Beine, knielange Röcke, großzügige Ausschnitte. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Tages-, Abend- und Strandkleider, an denen erkennbar wird, wie sich die Frauen des frühen 20. Jahrhunderts zur Selbstbestimmung hin emanzipierten.
Die 1960er und 1970er Jahre brachten eine weitere Emanzipation. Die Studentenbewegung ging mit einer sexuellen Revolution einher, tausende Frauen gingen auf die Straße, um für ihr Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu demonstrieren. Die Antibabypille war erfunden und auf dem Markt. Man forderte die Abschaffung des Abtreibungsparagrafen 218. Das neue Denken wirkte sich auch modisch aus. Viele Frauen lehnten nun formende Unterwäsche ab, die als Sinnbild für Einengung und Unterdrückung erschienen. Oft wurde demonstrativ auf den BH verzichtet. Die Auswirkungen, die sich aus diesem neuen Denken ergaben, waren in den 1970er Jahren dann aber doch widersprüchlich. Einerseits die Frauen, die sich körperbewusst und mit Minirock oder Hot Pants sexy zeigten, andererseits der Schlabberlock der Hippies und der alternativen Szene, der den Körper mit langen indischen Röcken und weiten, selbstgestrickten Pullovern eher verhüllte.
Der zweite Teil der Ausstellung widmet sich eingehend dem Thema "Dessous". Auch das, was man drunter trug, hat sich im Laufe der vergangenen 150 Jahre wesentlich gewandelt.
Wenn Josefine mit ihrem Heinrich verabredet war im 19, Jahrhundert, zwängte sie sich in ein Korsett. Das Schnürmieder brachte ihren Körper in eine zarte, zuweilen zierliche Idealform. Der Busen wurde gehoben und betont, die im Schoss auslaufende Schnebbe ließ die weibliche Scham erahnen. Schnüre und Schleifen, Knöpfchen und Häkchen, das damit verbundene Auspacken zog Männer schon immer besonders und an. Aus Medizinersicht war das, da die Organe eingeschnürt wurden, allerdings eher fragwürdig.
Auch die BHs der früheren 1920er, edle Kombinationen aus Seide, die eher einer Femme fatal zugeschrieben wurden, sowie die wehrhaft anmutenden Mieder und Spitzentüten-BHs der Wirtschaftswunderjahre bis hin zu dem Hauch von Nichts der modernen Dessous machen den Wandel der Unterwäschemode deutlich. Mehr als 250 Originalexponate sind in der Ausstellung zu bewundern.
Auch ein historischer Wäscheladen wird in der Ausstellung gezeigt, der bis 2006 in Bonn stand und angeblich zahlreiche Bundestagsabgeordnete als Kunden hatte, die dort Wäsche kauften - für wen immer. In der Ausstellung sind die Regale mit Wäsche gefüllt, die vorher von der Bevölkerung nach einem Sammlungsaufruf des Museums abgegeben worden war.
Das alles ist sehr klug und sorgfältig, teilweise mit besonderen Blickweisen aufbereitet. Ergänzt werden die gezeigten Ausstellungsstücke durch Modejournale, Fotos, Accessoires und Filmausschnitte. Der Vergleich der Frauen- und Herrenunterwäsche ist besonders amüsant. Für Fetischisten ist das nichts. Anfassen verboten!
Bis zum 3. Oktober im tim - Staatliches Textil- und Industriemuseum Augsburg, Provinostraße 46, 86153 Augsburg, Di.-So. 9 bis 18 Uhr. Weitere Informationen unter www.timbayern.de