In der Schauburg: Flamenco vor dem Wickeltisch
Gauthier Dance zeigt seinen neuen, siebenteiligen Abend "Lucky Seven" in der Schauburg. Auf das versprochene Zugstück von Jiri Kyliàn muss München allerdings verzichten.
Ach, zeitgenössischer Tanz kann unterhaltsam sein? Ja! Die wichtigsten Botschafter dieser Nachricht, der Stuttgarter Eric Gauthier und seine Kompanie, gastierten jetzt erneut in der proppevollen Schauburg am Elisabethmarkt. Ihr neues Programm "Lucky Seven" löste wieder zuverlässig jeglichen Standesdünkel zwischen "E-Tanz" und "U-Tanz" auf. Allerdings fehlte es diesmal ein wenig an Tiefe. Der Abend endete, zumindest in München, mit einer Enttäuschung.
Schon beim Eröffnungsstück "Lickety Split" von Alejandro Cerrudo stellt sich Erleichterung ein. Drei Paare liefern zur betörenden Country-Musik von Devendra Banhart nicht den ewig nervtötenden Geschlechterkampf, sondern fließen in immer neuen Hebungen unhd Figuren durch ein Universum der Zärtlichkeit. Ja, Mann und Frau passen ab und zu auch einmal zusammen. Und der Tanz wird dadurch nicht schlechter.
Solcherart gelockert ist das Publikum dann bereit für den Chef. Eric Gauthier hat von Hans von Manen dessen "The old man and me" überlassen bekommen - nach dem Bayerischen Staatsballett ist Gauthier Dance damit die zweite Kompanie überhaupt, die dieses Juwel der Tanzgeschichte aufführen darf - außer dem Nederlands Dans Theater natürlich. Die Münchner sahen es nun also, nach vielen Malen mit Ivan Liska und Judith Turos, mit Gauthier und Isabelle Pollet-Villard in den Hauptrollen. Wie erwartet gehen die jüngeren Tänzer die Sache etwas anders an: Pollet-Villard als "Me" nimmt die Koketterie, mit der sie den Alten verführt, noch ziemlich ernst. Wehe, er springt nicht, wenn ich schnippe! Gauthier wiederum spielt die komödiantischen Effekte brilliant aus, lässt es aber im letzten Drittel an Tiefe fehlen. Noch wagt er nicht, sich in diesen Pas-de-deux voller Todesahnungen fallen zu lassen. Doch man kann sicher sein, dass das in 15 Jahren anders aussehen wird. Denn Eric Gauthier kennt nicht nur Himmel, sondern auch Hölle, was die Gratwanderungen seiner eigenen Choreografien immer wieder zeigen. So auch die, die er für seinen kleinen Sohn schuf: "Carlito". Die Rahmenidee ist wie immer von glänzender Komik. Wann sieht man schon einmal einen Vater vor dem Wickeltisch einen rasenden Flamenco tanzen? Doch je länger man zusieht, desto universeller wird Gauthiers Tanz, mit all seinen Eindrücken von Mühe, Schmerz und Zweifel, aber auch Ekstasen und Freuden eines Menschenlebens. Und das alles nur, um es dem Mini-Pupser zu Füßen zu legen. So ist Elternschaft.
"Punk love", Gauthiers zweite Neuschöpfung, kommt da weitaus avangardistischer über die Bühne. Leider war die ein Tätowiergerät nachahmende Musik von Stephan M. Boehme völlig übersteuert, so dass man das faszinierende Duett voller Hebungen nicht recht genießen konnte. Besser ging das bei "Shutters Shut" von Paul Lightfood und Sol Leon. Die tänzerische Umsetzung von Gertrude Steins gleichnamigem, kubistischen Gedicht ist schlicht und einfach köstlich. Worte werden mit Bewegungen gleich gesetzt, die von zwei Solisten in dadaistische Tanzphrasen umgesetzt werden. So liest man die sperrige Stein gerne!
Nach Mauro Bigonzettis mystischem Pas-de-deux "Pietra Viva" war dann leider auch schon Feierabend. Denn ausgerechnet das renommierteste und in München sicher beliebteste Stück auf dem Plan, Jiri Kyliàns "Sechs Tänze", musste ausfallen. Man hätte in letzter Minute bemerkt, dass die Bühne der Schauburg dafür zu klein ist, lautet die Erklärung des Theaters - das doch von Anfang an Co-Produzent von "Lucky Seven" war. So gingen die Zuschauer mit Lightfoods "Susto" nach Hause, das nicht annähernd ein Ersatz war.
Läuft die Kommunikation zwischen Künstlern und Spielort so schlecht, muss man sich doch etwas um zukünftige Besuche sorgen. Die Münchner freie Tanzszene, die sich so oft in verquasten Selbstreflexionen ergeht, kann von Gauthier Dance nämlich einiges lernen, vor allem in Sachen Humor und Kreativität.
Isabel Winklbauer