Kunst ist kein Spaß, sondern notwendig: Zur zwiespältigen Gegenwart des neuen Atelierhauses auf dem Domagkgelände
Zeitgenössisches made in München: Wenige Wochen nach dem Aus für "Haus 49" öffnet "Haus 50" seine Türen. Es ist das letzte Atelierhaus auf dem Domagkgelände.
"Haus 50" steht gut da. Proper saniert und voller Leben. In den mehr als 100 Ateliers arbeiten die Künstler - und noch bis heute kann man im Rahmen der Ateliertage durch das Gebäude streifen, Künstler und Werke besichtigen. Weniger gut geht es dem Nachbarhaus mit der Nummer 49: ein Loch im Dach, leer und ohne Fenster steht es hinter dem Bauzaun und wartet auf den endgültigen Abriss. Eigentlich liefen die Mietverträge bis Mitte kommenden Jahres, aber dann ging es plötzlich um 500000 Euro, die keiner hatte, die aber an den Bund hätten gezahlt werden müssen, damit man nicht zum Juni 2011 mit dem Abriss beginnt.
Also wurde fristlos gekündigt, Anfang Juli lief die Frist ab. Über 40 Künstler verloren ihre Ateliers und ihr Zuhause. Einige wenige haben inzwischen eine neue Bleibe in der Dachauer Straße 114 gefunden, aber der Großteil steht noch auf der Straße. Nicht, dass man klein beigegeben hätte: es wurde protestiert, demonstriert und ein Konzept für den Erhalt ausgearbeitet. Alles vergebens. Kein Engagement, kein Argument, keine Idee ist so stark wie 500000 Euro, die fehlen. Zuletzt pendelte sich die Stimmung irgendwo zwischen wütend und traurig ein. Man nennt das auch Resignation.
Ein paar Wochen ist das erst her, und der Rausschmiss steckt noch allen in den Knochen - auch den sicher in "Haus 50" untergebrachten Künstlern, die jetzt ganz ohne Nachbarn dastehen, mitten in einer gigantischen Baustellenödnis. Von den ehemals elf Häusern ist es das letzte Überbleibsel der Künstlerkolonie, die 1993 auf dem Gelände der ehemaliegn Funkkaserne gegründet wurde und Kunst und Leben an einem Ort zusammenführen wollte - viele Künstler lebten und arbeiteten auf dem Gelände. Das ist jetzt nicht mehr möglich. "Haus 49" ist weg und "Haus 50" ein reines Atelierhaus.
Und doch will die Stadt München genau das: Kunst und Leben wieder zusammenführen. "Unsere Künstler sollen nicht irgendwo am Stadtrand untergebracht werden, sondern mittendrin", sagte der Münchner Kulturreferent Hans-Georg Küppers bei der Eröffnung der Ateliertage und bezeichnete die Zusammenführung als "den neuen Aspekt" der Neugestaltung von öffentlichem Raum, wie er etwa in der Dachauerstraße oder auf dem Domagkgelände ansteht. Im Klartext heißt das wohl, dass vor allem neuer Wohnraum entstehen soll und dann schaut man mal, wo man "geeignete Räumlichkeiten" für die Kunst findet. Und das wird dann gar nicht so einfach werden, denn wer wohnt schon gerne über dem Probenraum einer munteren Performancegruppe, oder in direkter Nachbarschaft eines Bildhauers, der zwar sehr nett ist, aber tagein, tagaus klopft, fräst und schleift? "Für mich ist Kunst auch Arbeit", sagte Küppers - ja, klar, nur dass so ein Künstler eben nicht unbedingt von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends still vor sich hin zeichnet und möglichst leise die Farben mischt. Kunst braucht Platz, Kunst macht Lärm, Kunst macht Dreck, und auch wenn es ähnlich klingt: eine Künstlergemeinschaft ist keine Bürogemeinschaft.
Das Domagkgelände liegt zwar nicht gerade zentral, bot den Künstlern aber die Freiheit, in ihrem eigenen Rhythmus zu arbeiten. Platz gab es, Lärm und Dreck hat hier keinen gestört. Man war ja unter sich, hatte Verständnis für die Kollegen. "Alles bleibt in Bewegung", sagte Küppers abschließend, was wohl als versöhnlicher Kommentar zu "Haus 49" zu verstehen war.
Deutlicher wird Jaromir Zezula, Kurator der Ausstellung "Kunstblut", die zeitgleich mit den Ateliertagen startete, darüber hinaus aber noch bis zum 30. Juli im "Haus 50" zu besichtigen ist. "Das alte Domagkgelände ist tot und das ist traurig. Kunst ist kein Spaß, sondern lebensnotwendig. Für die Künstler ist es das einzige, was sie haben. Gerade deshalb ist diese bürokratische Seite für uns schwer zu fassen." Aber wenn man eh nix mehr ändern kann, war's das dann mit den kritischen Tönen. Dafür gab es ein bisschen Werbung für die erste Domagk-Edition, an der sich 23 Künstler aus "Haus 50" beteiligt haben und die man natürlich käuflich erwerben kann. Dann machte man sich auf zur gemeinsamen Besichtigungsrunde, kreuz und quer durch die Ateliers und alle möglichen Kunst- und Stilrichtungen: Großformatige, beeindruckend warzige Riesenkröten in Öl, reduzierte Farbstudien, begehbare Rauminstallationen, Video, Holzskulpturen und Raumobjekte.
Wen bei all der Kunst das dringende Bedürfnis überkommt, die umstrittene Frage "Was will uns der Künstler damit sagen?" zu stellen, kann das gerne tun, muss dann aber auch mit einer Antwort rechnen.
Barbara Teichelmann