Sonne im Kopf
[caption id="attachment_1305" align="alignright" width="225" caption="Der Königsplatz leuchtet: Berkan Karpats DNA des Vergessens. Bild: Daniel Hofer"][/caption]
Die Stimme eines Sufi verweht im schwarzblauen Nachthimmel, und über die griechisch-hehren Fassaden am Königsplatz scheinen scheinen gigantische Bienen zu krabbeln: Der abendliche Illusionszauber des Regisserus Berkan Karpat verwandelte Münchens schönsten Platz am vergangenen Wochenende in ein Gesamtkunstwerk zum Durchschreiten.
„Nichts gleicht der Seele so sehr wie die Biene, sie fliegt von Blüte zu Blüte wie die Seele von Stern zu Stern, und sie bringt den Honig heim wie die Seele das Licht“, dichtete Victor Hugo über die Biene, das fleißige Insekt, das wie kaum ein anderes mit Symbolen beladen ist. Seit der Antike stand sie für Königtum, Fleiß und Beredsamkeit. Das Christentum sah in ihr dank ihres Honigs und ob ihres strafenden Stachels ein Symbol für Jesus Christus. 40 Krankheiten soll ihr Honig heilen.
Beim Installationskünstler Berkan Karpat stehen die fleißigen Insekten für all dies – und noch mehr. Unter seiner Regie beherrschten sie am Samstag abend für drei Stunden den Königsplatz, gigantisch groß an die Fassaden der Glyptothek und der Antikensammlung projiziert. Auch in den leuchtenden Plastikkissen, die von blauen Kränen herabbaumeln , krabbeln Insekten: diesmal Hummeln. Zwei Mumien liegen auf einem Tisch, die Köpfe zusammen unter einer Plastikhalbkugel. Die Mumien leben allerdings und sprechen in Mikros: „Verlass Haus, verlass Zeit, verlass Ost, verlass West...“ Darüber steigt die Stimme eines Sufi in den Himmel: ein Bienensegen. Es könnte aber auch ein Klagegebet sein... Man muss nicht alles verstehen, man kann ja von Station zu Station laufen und mit anderen Besuchern reden. Und vielleicht entlockt man ja der flüchtigen Begegnung einen Aufschluss mit Ewigkeitswert?
[caption id="attachment_1306" align="alignleft" width="225" caption="Heilkraft der Bienen: Glyptothek und Antikensammlung verwandelten sich in Leuchtkörper. Bild: Daniel Hofer"][/caption]
„DNA des Vergessens“ nennt Karpat sein Projekt, das dem Vergessenen, Ausgelöschten gewidmet ist, und das an einem seinerseits beladenen oder gar belasteten Ort. Den Königsplatz hatte König Ludwig I. noch als Hommage an die alten Griechen errichten lassen. Die Nazis aber widmeten den großzügigsten aller Münchner Plätze um: Mit Granitplatten ausgelegt, diente der Platz als Aufmarsch- und Gedenkstätte.
Dem Nazi-Staatskult , aber auch der offiziösen Gedenkkultur von heute, stellte Berkan Karpat seine temporäre Installation entgegen. Ein Rollband, wie man es aus Abfüllanlagen kennt, lädt zur Reise ein. Der Reisende blickte in den Nachthimmel, wird mit Rosenwasser gesalbt. Ein Helfer legt ihm sacht einen Kasten auf den Bauch, der das Summen von Bienen in den ausgestreckten Körper vibriert. Das wird sich später so ähnlich wiederholen: Ein Knubbel zwischen den Zähnen, von einem weiteren Helfer gereicht, überträgt das Summen in den Schädelknochen, man wähnt die Bienen mitten im eigenen Kopf. Muss einen nicht weiter beunruhigen. Nach der Vorstellung der alten Ägypter sind Bienen die Tränen des Sonnengottes Re. Und wer hätte in diesen kalten Zeiten nicht gern ein wenig Sonne in sich?
Jan Stöpel