Verblüffende italienische Unbekümmertheit - Die zehnte IMAL-Jahresausstellung in der Halle 6

von Michael Wüst

Tesafilm-Kopf mit Staubsauger-Hals (Foto: Michael Wüst)

Charmant, verspielt, unprätentiös. Die Jahresausstellung „stop+go“ des International Munich Art Lab (IMAL) zeigt noch bis Samstag fünfzig „Young Stars“ der Bildenden Kunst in der Halle 6 an der Dachauerstraße.

Es ist gerade erst ein paar Tage her, da gab es jede Menge Lob für das sexy-frech-frische Jugendmusical „esc@ape“, ebenfalls von IMAL organisiert. Als Ergänzung zum darstellenden Part gelang auch die Ausstellung „stop+go“ im zehnten Jahr hervorragender Kreativ-Jugendarbeit bestens.

Vittorio Sgarbi, der Kurator des italienischen Pavillons auf der diesjährigen Biennale in Venedig, hätte wohl an so manchem in dieser Ausstellung seine Freude gehabt. Sgarbi, der sich eigentlich nicht Kurator schimpfen lassen möchte, hat dieses Jahr in Venedig überaus erfolgreich provoziert. Unter dem doppeldeutigen Titel „L´Arte non é cosa nostra“ versammelte er Zeitgenössisches, mit Hilfe namhafter „Subkuratoren“ wie Umberto Eco, Ricardo Muti und James Hillman. Mit diebischer Freude wurde dabei bewusst nicht auf gleichförmig durchlaufende Qualität geachtet, man fügte sich nicht dem ästhetischen Kohärenzdruck einer wie auch immer legitimierten Cosa Nostra des Kunstbetriebes.

Besucher in der Halle (Foto: Michael Wüst)

Zu provozieren war im Vergleich dazu gar nicht die Absicht der 50 Mitwirkenden bei „stop+go“. Dennoch; allein die Frische, die Nichtbeachtung serieller, „stylischer“ Kühle, Ignoranz jedweder Spruchblasen, Unempfindlichkeit gegenüber wertvollen Materialien, ja stellenweise die Liebe zum Ramsch, verstellte dem Kunstflaneur die Möglichkeit, sich zu inszenieren. Sogar Komik blitzte immer wieder auf! Tse-Tse.

Gefallen hätte Sgarbi schon beim Eintreten die naive Lebendigkeit, lebendige Naivität: eine Slideshow von blauen und violetten Bildern über Stapeln von Brötchen (zum Essen) in Braun-, und Orangetönen, nebst kleiner Abteilung von Besen und Wischmobs. Ein fünfgeteiltes Bild, Baiser-weiße Nackte mit Haaren wie von gezuckerter Wolle, Rosen, Schwanenflügel und Gitterwerk-Spritzguss auf Schokolade.

Daneben, auf einem roten Blechtisch, stehen die Überreste einer verzechten Nacht: Zigaretten, Fressalien, das Finale der Frauen-WM, Gottschalks letztes Band? Um den Tisch herum stehen stumm die Akteure, die Zecher: sechs laufende Fernseher. Schweigend verkatert ertragen sie ihre Programme. Vielleicht schlafen sie auch. Intelligent und lapidar.

Spuren einer durchzechten Nacht (Foto: Michael Wüst)

Etwas weiter gestapelte Töpfe, eine rätselhafte Rüsselfigur aus Schnipseln und ein Plattenspieler, auf dem sich eine Pizza dreht (Yamamoto Hisashi). Das war der IMAL-Beitrag, neben weiteren Arbeiten heuer auf der Eksperimenta Tallinn. (Hört, hört!) Michaela Andraes ragende Tesafilmköpfe mit Staubsaugerhälsen, teilweise an Farbinfusionen hängend, muten an wie aufbegehrender medizinischer Fachbedarf. Sonja Kubuschok hat ein Fenster milchig verhängt, ein leicht verträumter Moment. Rechts davon schließt sich Maximilian Fischer an, mit einer sadistisch anmutenden Plastik aus getapedem Packpapier. Nebeneinander sorgen die beiden Räume für eine gute Diskrepanz heimelig-unheimlich. Vieles mehr. Unmöglich allen gerecht zu werden.

Forever young, wünschen wir deshalb allen fünfzig Artisten! Heißt, dass Unbekümmertheit, Humor und Lebendigkeit ihrem Schaffen erhalten bleiben mögen, auch wenn die Cosa Nostra der Kunstmafia schon bald nach dem einen oder anderen ihre kalten Hände ausstrecken wird.

Oder wie Sgarbi im Interview mit dem Kunstmagazin „Monopol“ sagte: „Die anderen Pavillons hier auf der Biennale sind dagegen (gegen den italienischen…Anm.) wie Beerdigungskapellen, sie sind Friedhöfe, in die die Kuratoren ihre Lieben bringen. Alle tot…“

Die Jahresausstellung IMAL „stop+go“ in der Halle 6 an der Dachauer Straße 112d, läuft noch bis Samstag (23. Juli 2011), jeweils von 15-21 Uhr.

Veröffentlicht am: 21.07.2011

Über den Autor

Michael Wüst

Redakteur

Michael Wüst ist seit 2010 beim Kulturvollzug.

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