Freitagsgedanken (Folge 2): Wir tun es. Und zwar genau das, was sie jetzt denken.
“Let’s Talk About Sex.“ – Dieser Satz kommt grundsätzlich von jemandem, der verlegen ist. Denn dann ironisiert er mit einem Zitat, dass er das Gespräch gerne in diese Richtung lenken würde. Ich sage ihn auch. Und zwar jetzt. Denn die Frage, die sich einem aufdrängt, wenn man sich viel mit Musik beschäftigt, ist zwangsläufig: Wenn guter Sex und gute Musik eine ähnliche Wirkung haben, was haben sie dann gemeinsam?
Kürzlich stellte ein lieber Kollege mit ironischem Unterton fest, er und ich hätten „intime“ Gespräche über Pentatoniken geführt. Wir guckten uns daraufhin an und brachen in Gelächter aus. Denn an Pentatoniken ist wirklich nichts erotisch. Man kann erregende Gespräche über Gemüse führen, aber nicht über Pentatoniken. Das dachte ich, und dann wurde mir klar, dass ich es als Tag und Nacht musikkonsumierendes, musizierendes und über Musik schreibendes Wesen doch besser wissen müsste. Dass der Sex, oder zumindest Erotik, in der Musik zwangsläufig vorhanden ist, wenn es sich bei den Ausführenden nicht gerade um den Blockflötenchor von Hintertupfing handelt.
Letzten Montag war ich auf einem Konzert mit Bill Evans am Saxofon. Er ist rein optisch nicht mein Typ, Sie wissen schon, das Alter... Aber wenn der eine Pentatonik spielt, ist das Erotik, die weniger mit Sexualität als mit Intensität zu tun hat. Eine Spannung. Die Lust daran, diese Töne zu spielen.
Miles Davis soll einmal gesagt haben, es komme nicht darauf an, was man spielt, sondern, wie man es spielt. Ähnliches war in einer TV-Episode aus „Sex and The City“ zu hören: Da beschwert sich Miranda, dass die Männer gleich auf Abstand gehen, wenn sie erwähnt, dass sie Anwältin ist. Samantha meint daraufhin wörtlich: „Es kommt nicht darauf an, was Du sagst, sondern wie Du es sagst.“ Sie demonstriert es mit dem Satz „Ich mache PR.“ Und siehe da, man überhört. Man hört nur noch. Den Klang ihrer Stimme, der vermittelt, was sie will. Die Botschaft, die man nur dann mitbekommt, wenn man Sprache hört wie Musik. Denn dann hört man nicht die einzelnen Wörter Ich-mache-PR. Man hört auch nicht die einzelnen Töne einer Pentatonik. Man hört eine Melodie, ein Gefühl, eigentlich den Menschen, der spielt oder spricht.
Dann gibt es noch die dritte Möglichkeit: Ich habe einen guten Freund, der hat eine sehr schöne Stimme. Die Art wie er sich bewegt bringt nicht nur mich dazu, den Blick nicht mehr von ihm wenden zu wollen. Seine Gegenwart ist voller Ästhetik. Frauen meinen, er sei ein schöner Mann, Männer sprechen von einem feinen Kerl. Er hat keine Ahnung davon, denn er ist einfach so. Würde man ihn darauf ansprechen, würde er einen wahrscheinlich mit hochgezogenen Augenbrauen mustern, als sei man nicht mehr ganz dicht, und einen mit seinem hinreißenden „Ach, komm...“ der Lächerlichkeit preisgeben. Als ich angefangen habe, Jazz zu spielen, sagte mir keiner, wie es geht. Ich habe die Blue Notes irgendwann von selbst gespielt. Und ich habe sie geliebt, diese Töne, von denen ich nicht genau wusste, was sie waren, aber sie klangen nach der Musik die ich spielen wollte. Es ist dieses Unfreiwillige, das einem dann das Herz aufgehen lässt. Hinter allem steckt schlussendlich die Lust daran, das zu tun, was man tut.
Aber bevor ich mich hier um Kopf und Kragen philosophiere, gehe ich in den Keller und übe nicht mehr ganz so unfreiwillig Pentatoniken. Mit diesen Erkenntnissen wird das völlig anders aussehen als bisher. Mit dem lieben Kollegen rede ich ab jetzt nur noch über Gemüse. Er wird das verstehen, schließlich gehören solche schlüpfrigen Themen wie Pentatoniken und sonstige Tonleitern nicht in eine Redaktionssitzung. Wäre ja peinlich, wenn die anderen mitbekommen, über was wir reden...