Freitagsgedanken (Folge 11): Audio Ergo Sum

von Clara Fiedler

Musik hat im Gegensatz zu Sprache noch eine Subtext: Den der Stilrichtung. Foto: fie

Darüber, dass Musik und Sprache sehr viel miteinander zu tun haben, ist man sich ja einig. Aber ist Musik wirklich Sprache? Eigentlich schon, es gibt so etwas wie Sätze. Interpunktion passiert hier durch die Phrasierung. Es gibt auch Pausen zwischen den Sätzen und es gibt ein Vokabular. Was fehlt, ist die klare Definition der Semantik. Wie also diese Sprache verstehen?

Ein Beispiel für ein Missverständnis: Bossa Nova – so wird behauptet – mache eine positive Stimmung. Das hat etwas von einem sanften Schwingen, einem stillen Lächeln, flirrender, brasilianischer Sonne und so weiter. Aber was in den Texten oft thematisiert wird, ist eine sehr verzerrte Form von Liebe. Selbstaufgabe, das Hochstilisieren des geliebten Menschen zum Lebensinhalt, Zurückweisung und die Lähmung, die darauf folgt, eigentlich ziemlich krankhaftes Zeug. Ein derartiges Klammerverhalten hat weniger mit einem sanften Schwingen als mit einer Psychose zu tun. Diese Thematik gibt es auch im Jazz, im HipHop, im Heavy Metal, im Pop und in so ziemlich jedem anderen Musikstil.

Zu behaupten, Bossa Nova mache einen glücklich, ist also dasselbe, wie wenn man sagt, ein Schimpfwort klinge auf französisch viel besser, und fast schon liebevoll. De facto kann man davon ausgehen, dass jemand, der „Scheiße“ sagt, in etwa dieselben Gefühle hat, wie einer, dem ein „Merde“ über die Lippen kommt. Oder: Warum sollte sich die Verzweiflung eines Tom Jobim großartig von der eines Kurt Cobain unterscheiden?

Ist die Art der Musik, mit der man einen Text unterlegt, ein Subtext, der verrät, wie der Betroffene mit der Thematik umgeht? Diejenigen, die diese Reihe verfolgen, werden sich an die These erinnern, dass man den Interpreten oder Komponisten wahrscheinlich erst dann sehen lernt, wenn man sich selbst aus dem Hörerlebnis herausnimmt. Wenn man diesen Gedanken weiterführt, ist dann der Musikstil, den man gerne hört, ein Hinweis darauf, wie man selbst mit dem im Text Thematisierten umgeht? Genauso, wie man meistens mit Menschen zusammen ist, die einen ähnlichen Umgang mit Herausforderungen pflegen wie man selbst?

Kann man sagen, in der Bossa Nova versteckt sich die süßlich-schwere Art von Melancholie als Lebensgefühl, der HipHop weist eine in Richtung Tatendrang gehende Aggressivität auf, im Blues wird relativiert und so weiter? Am Schwierigsten zu verstehen ist in dieser Hinsicht wohl die Klassische Musik. Schon allein deshalb, weil sie dermaßen vielschichtig ist. Aber wie leicht lassen sich ihre Komponisten irgendwie definieren. Der strukturierte, abgeklärte Bach, der liebenswürdig chaotische Mozart, der jähzornige, trotzige Beethoven, der gesetzte, gutmütige Haydn...und so weiter.

Die Frage ist: Wo findet man sich selbst? Wo definiert man sich? Oder: Was schlägt mir die Musik vor, die ich liebe? Nehmen wir Beethoven: Jeder, der sich ein bisschen mit dem Komponisten auseinandergesetzt hat, weiß, wie tragisch seine Geschichte ist. Jedes Kind weiß von Beethovens Taubheit und jeder, der ein bisschen Mitgefühl hat, kann sich ausmalen, durch welche Hölle dieser Mensch gegangen sein muss, als er gemerkt hat, dass er immer schlechter hört. Trotzdem: Wer hört neben der Tragik nicht auch das Strahlen in seiner Musik? Wer hört nicht dieses Größte seiner Zitate: "Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen. Ganz niederzwingen wird es mich gewiss nicht."

Und wer kann sich nicht vorstellen, dass es wohl besser ist, dem Schicksal nicht ganz so breit den Mittelfinger zu zeigen, und zu sagen "Geht schon noch", weil es sonst schmerzhaft werden kann? Wenn man ein Musikstück hört, hört man immer einen Zustand. Die Dokumentation eines Status Quo. Und man schaut in den Spiegel. Vielleicht ändert sich auch deshalb ein Musikgeschmack über die Jahre.

Genauso, wie man vielleicht etwas als Jugendlicher anders ausdrückt als als Erwachsener, egal, ob Freude oder Schmerz. Denn in den seltensten Fällen fühlt man wirklich anders. Man ist nur abwechslungsreich, was die Ausdrucksform betrifft.

 

 

Veröffentlicht am: 30.09.2011

Über den Autor

Clara Fiedler

Redakteurin

Clara Fiedler ist seit 2011 beim Kulturvollzug.

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