Peter Weibels Proteste: Konzeptionelle Fotografie von 1965 bis 1975
Das Recht wird mit Füssen getreten, die Polizei lügt ohnehin. Eine Ausstellung in der Galerie Kampl in München geht in eine Protest- und Provokations-Vergangenheit, zu der sich die Frage stellt, ob uns das heute überhaupt noch etwas zu sagen hat.
Wien 1969. Mitten auf dem Trottoir an der Kärtnerstraße führt eine Frau einen auf allen Vieren kriechenden Mann an der Leine durch die Stadt, was ebenso viel Entsetzen wie Erheiterung hervorruft. Zwei Schwarz-weiß-Aufnahmen "Aus der Mappe der Hündigkeit", die in der Zusammenarbeit von Peter Weibel mit Valie Export entstanden, werden in der Ausstellung gezeigt. Eine Verkehrung des Frauenbildes jener Zeit, deren auch sexueller Hintergrund - der Mann ist der Frau untertan, die womöglich auch noch sado-masochistische Neigungen offenbart - nicht unbeträchtlich Irritationen hervorrief.
Ebenfalls in Zusammenarbeit mit Valie Export entstand 1968 die Aktion "Tapp und Tastfilm", die am 11. November 1968 anläßlich der Preisverleihung im Wirtschaftsförderungsinstitut der Wirtschaftskammer in Wien und drei Tage später zum ersten Treffen Europäischer Filmemacher auf dem Stachus in München veranstaltet wurde. In dem Kino, das aus einem vor die Brust geschnallten Pappkarton bestand, hatten nur zwei Hände Platz. Der Film war nicht zu sehen, sondern nur zu ertasten. Kopfkino, das sich in den zwölf Sekunden, in denen sich der Besucher dort aufhalten durfte in der Fantasie des Ertasters entwickeln musste. Von dieser Aktion gibt es ein Video, das in der Ausstellung angesehen werden kann.
Peter Weibel, 1944 in Odessa geboren, ist Künstler, Ausstellungskurator, Kunst- und Medientheoretiker. Aufgewachsen in der oberösterreichischen Provinz studiert er in Paris neben der französichen Sprache zunächst Film und Komparatistik, beginnt 1964 in Wien ein Medizinstudium und wechselt dann zur Mathematik mit der Schwerpunkt Logik. Schon früh beginnt er, in seinem künstlerischen Schaffen nicht nur Sprache und Körper, sondern auch Film, Video und Tonband zu verwenden. Eine frühe Form von Performance also. Daneben steht eine umfassende wissenschaftliche Tätigkeit. Arbeit am Institut für neue Medien in Frankfurt am Main, Vorstand der bedeutenden Ars Electronica in Linz und seit 1999 Leitung des Zentrums für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe.
Neben all dem hat er stets und gern provoziert, stellte sich mit seinen Aktionen und Projekten stets gegen den Mainstream. "Das Recht mit Füssen getreten" - die 1968 entstandene Aufnhame zeigt den Boden eines Ausstellungsraums, dessen Boden kreuz und quer mit dem Wort "Recht" beschrieben ist. Die Besucher latschen darüber hinweg. "Polizei lügt" die den Künstler vor einer Wiener Polizeiwache zeigt, wie er ein Pappschild mit nämlicher Aufschrift in die Höhe reckt. "Stiegenhäuser" von 1972 offenbart die Traurigkeit, den Dreck hinter den oftmals prächtigen Fassaden.
Bringt uns das heute alles noch etwas? Die Antwort ist eindeutig: Nein. Die Bilder zeugen von vergangenen Zeiten, die von der Wirklichkeit überholt worden sind. Bei Älteren könnten Erinnerungen an einen Lebensabschnitt geweckt werden, der lang vorbei ist. Den Jüngeren hilft es nicht weiter, weil sie die Zeit nicht mehr nachvollziehen können. Ein Funke will nicht mehr überspringen.
Bis zum 15. Oktober 2011 in der Galerie Kampl, Buttermelcherstr. 15 in München, Di-Sa 12-18 Uhr. Freier Eintritt.