Der Böse und die „Zensur“: Oliver Estavillo verteidigt seine Hölle in der "Kunstbehandlung"
Wenn Oliver Estavillo zum Pinsel greift, wird das kein Zuckerschlecken. Wer durch den schlauchartigen Gang in der Kunstbehandlung gehen will, in dem derzeit seine Bilder hängen, muss sich auf einiges gefasst machen: Dämonen, Monster, Albträume. Und das Schlimme ist: Sie sind so real, obwohl überzeichnet, sie sind uns so nah, obwohl durch und durch unirdisch.
Estavillo ist der „bad guy“ unter den Münchner Malern. Grelle, comicartige Horrorszenen sind sein Markenzeichen, und das im vollen Wortsinn. Er ist sich nicht einmal zu schade, eine „Bankerverbrennung“ zu phantasieren. Er gibt dem Bösen Bilder, er macht selbst „liebe Kollegen“ zu einer lebenden Geisterbahn. Ist das nicht alles zu offensichtlich, zu berechenbar? Gegen diese Frage steht die Qualität seiner Bilder, auch und gerade die handwerkliche. Ein nicht unbedingt formaler, aber sehr wohl technischer Perfektionismus prägt diese Höllenschau. Von der Bildzeitung ließ er sich schon mal als „Mordsmaler“ vorstellen, aber die fragt ja vorher nicht, ob einem die Begrifflichkeiten in ihrer Schlichtheit gefallen.
So hat sich Estavillo einen sehr eindeutigen Ruf erworben. Wer diesen Mann und seine Bilder beschreibt, benutzt gemeinhin Ausdrücke wie „schwere Kost“, „gnadenlos“ oder „kompromisslos“. Damit tut man ihm nicht unbedingt einen Gefallen, denn Geisterbahn-Verdacht tötet Kunst. Auch „Pop-Brueghel“ hat man ihn genannt. Dieses Wort allerdings umschreibt erstaunlich gut, was Estavillo ausdrücken will, und was seine Werke beim Betrachter auslösen: Ein letztlich doch hintergründiges Schaudern, ein kathartisches Entsetzen angesichts des Abgrunds.
So lebt die aktuelle Ausstellung stellenweise von der an ihr hängenden Story: Dass nämlich ein guter Teil der insgesamt 18 Bilder von einer anderen Galerie zuvor nicht gezeigt worden waren, „zensiert wie im Mittelalter“, wie der Künstler es nennt. Dass im Jahr 2011 noch etwas „zu böse“ sein kann, um im Kunstkontext gezeigt zu werden, überrascht dann doch. Vielleicht ging es aber auch nur um den Verdacht der Unverkäuflichkeit im gewinnorientierten Kunstbetrieb. Hier ist nun jedenfalls alles zu sehen, weshalb die Schau „Director's Cut“ heißt: Wenn höchstens der Meister selbst die Schere ansetzt, bleiben Feigheit und Kommerz außen vor – davon lebt der Begriff ja auch im Kino.
Estavillos fünfte Einzelausstellung ist damit gerade in diesem engen Raum gut aufgehoben. Wer sein Publikum so direkt anspringen will, darf ihm keine Fluchtmöglichkeit, keine stillen Rückzugsecken bieten.
Da gibt es „Familienbande“ aus schrundigen Spießermonstern, „Schlechte Zeiten“ mit Folterszenen unter nicht mehr lustigen Zirkusclowns, und eine „Minotaurensauna“, in der vor Testosteron platzende Männerkörper Köpfe halten, denen schon das Blut aus dem Maul tropft. Und wer als Maler „Kulturpäpstinnen“ zeigt, die einerseits wirken, wie wenn Otto Dix auf einem LSD-Trip gewesen wäre, und die andererseits Ähnlichkeiten mit realen Personen aus dem Münchner Kulturklüngel nicht leugnen können, der nimmt es zumindest billigend in Kauf, dass seine Künsterkarriere dem Normalbetrieb nicht so einfach vermittelbar ist.
Manchmal wirkt all dieser Overkill an Provokationen zu sehr berechnet. Doch das dürfte die natürliche Kehrseite einer konsequenten Haltung sein. Estavillo ist der malende Nachtmahr. Und wenn du denkst, es geht nicht mehr, dann kommt da auch kein Lichtlein her. Im Gegenteil, es wird auf eine sehr bunte Art und Weise noch ein bisschen dunkler.
Das zentrale Bild der Ausstellung dürften „Die vergessenen Heiligen“ sein: Eine in ihrem Schmerz in sich ruhende Pennergruppe, deren mittlere Figur dem Betrachter die Hand mit einer Groschendose entgegenstreckt. Eine mittelalterliche Religiosität liegt über diesem Bild, etwas zwischen Kreuzgang und Schmerzensmann. Und signiert hat es der Künstler auf dem Etikett der Groschendose. Das ist zu viel, denkt man. Und merkt dann doch, dass es genau so sein muss.
Am Ende des Ganges wartet ein Raum mit einem Triptychon: ein Dämon bei Geburt, Leben und Tod – und mittendrin der Maler, das Teufelswesen zwickt ihn von hinten. Ist das klassisch? Ist das gaga? Es ist beides.
Estavillo malt fast ausschließlich mit reinen Farben, deshalb wirken die Bilder teilweise wie Comics. Sie glänzen und strahlen, nicht nur, weil es sich, wie ausdrücklich vermerkt wird, um besonders hochwertige „Qualitätsfarben“ handelt. Auch die Akkuratesse mit der die hochwertigen Leinwände auf die Rahmen gespannt sind trägt dazu bei, dass der verblüffende Eindruck einer fast klinisch sauber leuchtenden Reinheit entsteht. Diese Bilder wollen nicht nur extrem sein sondern auch perfekt. Es sind nun mal durch und durch Männerbilder: kühl trotz ihrer Aggression, sensibel hinter ihrer Grellheit, penibel in ihrem Fanatismus.
Die Ausstellung gibt ein in sich sehr geschlossenes Gesamtbild ab und ist im Vergleich zu früheren des Künstlers offenbar noch näher an seiner eigentlichen Intention. Oliver Estavillo geht einen sehr eigenen Weg. Wohin der führt, kann man eigentlich gar nicht fragen, ohne zumindest ein bisschen Angst zu kriegen.
Oliver Estavillo: „Director's Cut“ im Ausstellungsraum Kunstbehandlung (www.kunstbehandlung.de), Müllerstraße 40, bis 5. November, wochentags außer Mi. 12-14 und 16-20 Uhr, Sa. 11-20 Uhr.