Die Fotografin Margarita Broich: Die Leere nach der Vorstellung - Kollegen-Portraits
Schauspielerei ist Schwerstarbeit. Die Erschöpfung, die Leere und auch die Entspannung nach der Vorstellung oder dem Dreh einer Szene am Filmset zeigt die wunderbare Ausstellung "Wenn der Vorhang fällt" mit Fotografien von Margarita Broich im Deutschen Theatermuseum in München.
Nur platt! John Malkovich, noch im Kostüm, die Hände gefaltet, der Blick leer, müde, ausgelaugt, nach einer Vorstellung von "The Giacomo Variations" 2011 in Wien. Nach mehr als drei Stunden hoch konzentrierter Bühnenpräsenz ist keine Kraft mehr im Körper, wenn der Vorhang gefallen und der Schlussapplaus verhallt ist. Es dauert eine Weile, bis die Figur, die man da draußen war, abgelegt ist und man wieder sich selbst gehört. Klaus Maria Brandauer nach einem zehnstündigen Wallenstein-Marathon 2007 in Berlin, barfuss, die Bierflasche in der Hand, als hielte er sich an ihr fest, als wäre sie Bindeglied zwischen der bis eben erlebten Fiktion und der zurückkehrenden Realität. Und manchmal hilft einfach nur die Pausen-Zigarette, um die Anspannung in Rauch aufgehen zu lassen.
Margarita Broich kennt beide Seiten. 1960 geboren studierte sie zunächst Fotodesign an der Fachhochschule Dortmund und arbeitete danach zwei Jahre lang als Theaterfotografin am Bochumer Schauspielhaus, als Claus Peymann dort Intendant war. In dieser Zeit reifte der Entschluss, selbst Schauspielerin zu werden. Von 1983 bis 1987 studierte sie Schauspiel an der Hochschule der Künste in Berlin und spielt seither an namhaften Häusern wie dem Deutschen Theater, dem Maxim-Gorki-Theater, der Volksbühne Berlin, aber auch bei den Salzburger Festspielen. Von 1991 bis 2002 war sie Mitglied des Berliner Ensembles. Auch in zahlreichen Film- und Fernsehproduktionen ist sie regelmäßig zu sehen. Sie lebt mit dem Schauspieler Martin Wuttke, den man unter anderem als Tatort-Kommissar in Leipzig kennt, und den beiden gemeinsamen Söhnen in Berlin.
Die Leidenschaft für die Fotografie hat Margarita Broich nie verloren. Die Idee zu der in der Ausstellung gezeigten Foto-Serie verdankt sie einem Blick in den Spiegel. Nach einer Vorstellung von "Rosebud" an der Berliner Volksbühne kommt sie, mit Theaterblut verschmiert, in ihre Garderobe und erstarrt fast, als sie sich im Spiegel sieht. Bin ich das? Von dem Moment an habe sie diesen besonderen Moment, diesen einzigartigen Zustand nach dem Ende einer Vorstellung, bei Kollegen, mit denen sie gespielt oder gedreht hat, "versucht, festzuhalten", erklärt sie die Motivation zu dieser Arbeit. Das eigene Erleben erlaubt der Fotografin einen besonders verständigen, mitfühlenden Blick auf die Situation, die sich in dem Augenblick ergibt, der sich einstellt, wenn der Vorhang gefallen ist und die Darsteller sich zu lösen beginnen aus der Rolle. Oft sind es nur wenige Minuten, bevor der Moment unwiederbringlich verloren ist.
Sunnyi Melles sitzt vor dem leeren, nur noch schwach beleuchteten Zuschauerraum des Hamburger Thalia Theaters nach einer Aufführung von "Phädra", die Dolchspitze noch gegen sich gerichtet. Désirée Nick geht in der Aufnahme vom Dezember 2004 noch weiter: Nach der Vorstellung von "Damen der Gesellschaft" im Maxim-Gorki-Theater in Berlin sitzt sie auf der Bühne, den Rücken dem Publikum im Saal zugewandt und schaut herausfordernd, ja stolz und noch voller Energie in die Kamera. Ben Becker als rauchender Tod nach einem "Jedermann" 2010 in Salzburg, Otto Sander, sein Vater, nach einer Vorstellung von "Das letzte Band" 2008 in Berlin, rauchend, alt, erschöpft - und doch mit diesem zärtlichen Blick des Menschenfreundes. Überhaupt: die Männer. Sie scheinen sich schwerer zu tun damit, diesen"Null-Moment" zwischen Bühnengeschehen und Aufwachen, wie Margarita Broich ihn nennt, zu überwinden, wirken erschöpfter, mitgenommener als ihre Kolleginnen. Eine Reihe von vier Fotos zeigt Jürgen Holtz, wie er nach einer Wallenstein-Aufführung 2007 über den Kaffee danach langsam wegschläft. Auch Jürgen Franke pennt auf dem 2006 entstandenen Foto auf dem Sofa der Bühnendekoration. Dass sich in der Gruppe leichter abschalten lässt, zeigt die Aufnahme des Berliner Ensembles nach einer Vorstellung der "Dreigroschenoper" 2008.
Die Fotografien zeigen noch etwas anderes: die teilweise widrigen Umstände, mit denen sich die Darsteller abfinden müssen. Karge Garderoben, kalte Treppenhäuser, abgewetzte Möbel oder schmuddelige Requisitenkammern sind zu sehen. Entspannungsräume sehen anders aus. Dieser Blick hinter die Kulissen, den die Fotos von Margarita Broich gewähren, bestürzt und beschämt zuweilen angesichts des Umgangs mit den Menschen, die wenige Momente zuvor von ihrem Publikum bejubelt oder ausgebuht wurden.
Nicht alles erscheint so spontan, wie es sein soll. Wenn sich auf dem Foto von Birgit Minichmeier in rotem Kleid nach einer "Jedermann"-Vorstellung bei den Salzburger Festspielen wie zufällig ein grüner Gartenschlauch am Boden vorbeischlängelt, hat das nichts mehr von Zufall. Auch die drei in der Ausstellung gezeigten Doppelportraits von Melanie und Daniela Reichart haben nichts zu tun mit diesem "Null-Moment". Sie sind offensichtlich inszeniert. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Ausstellung sehenswert ist, weil sie einen Blick hinter die Fassaden erlaubt, weil sie einem die Menschen, die man von Bühne, Film oder Fernsehen zu kennen glaubt, ein Stück näher bringt.
Bis zum 8. Januar 2012 im Deutschen Theatermuseum, Galeriestraße 4a (Hofgartenarkaden) in München, täglich außer Mo. von 10-16 Uhr. Zur Ausstellung ist im Alexander Verlag Berlin ein Buch erschienen und für 20 Euro erhältlich.