Zwischen Bildaltar und Turnhalle - zum Abschluss von Dance 2010
Den DANCE-Abschluss mit der Uraufführung „Remembering the Future“ des in München ansässigen Choreografen Philip Bergmann konnten wir leider nicht mehr berücksichtigen. Doch auch im Bestfall würde es am eher betrüblichen Fazit der Münchner Tanz-Biennale nicht viel ändern. Große Ereignisse und Entdeckungen waren kaum auszumachen in der von Bettina Wagner-Bergelt unter dem Motto „Time Codes“ kuratierten Auswahl.
Dass die stellvertretende Leiterin des Bayerischen Staatsballetts, die das Festival 1987 begründet und seitdem mit 19-jähriger Pause dazwischen vier Mal geleitet hat, nicht wüsste, wo es Besseres und Spektakuläreres gäbe, ist nicht anzunehmen. Geldmangel ist also der Grund, warum diesmal Münchner Choreografen verstärkt vertreten waren und das Staatsballett mit William Forsythes „Artifact“ ein Highlight setzen konnte.
Ob die Betrüblichkeit allein am Geld liegt, fragt man sich schon. Das Thema „Time Codes“ setzte auf Erinnern und Vergessen, auf die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Und da waren es eben gerade die Reminiszenzen und Zitate aus der großen Aufbruchsphase des modernen Tanzes, die am nachhaltigsten beeindruckten. Ob die Eröffnung mit Louise Lecavalier, der immer noch energiesprühenden Ex-Protagonistin von der kanadischen Tanztruppe Lalala Human Steps, oder Forsythes Klassiker von 1984 , ob Cesc Gelaberts Rekonstruktion von Gerhard Bohners Solo „Schwarz Weiß Zeigen“ (1983) - das waren die starken Momente. Zu denen auch Raimund Hoghes „Bolero Variationen“ gehörten, die der langjährige Dramaturg von Pina Bausch ohne Konzession an jeglichen Zeitgeschmack als strenges, spannendes Exerzitium choreografierte.
Unter den neuen Choreografien gab es ziemlich viel, das rasch durchs Raster des Vergessens beim Zuschauer fiel. Wie sich Eszter Salamon zu John Cages Vortrag „Lecture for Nothing“ abzappelte, war in der Tat „Dance für Nothing“. Die Münchnerin Sabine Glenz hatte sich für „Layers“, den Versuch einer Schichtung nicht aufeinander bezogener Choregrafie, Sounds und Lichts mit ihren drei Mittänzern wohl in eine Turnhalle zum fröhlichen Vor-Sich-Hinsporteln verirrt. Und was die in Frankreich lebende Vietnamesin Ea Sola mit ihrem Solo „Air Lines“ über ihre Heimat und Boat People sagen wollte, erschöpfte sich in plakativem Flaggenschwenken zu Wellengetöse und pathetischen Schmerzensgesten der Tänzerin. Auch die wort- und videoreiche Beschäftigung des Franzosen Rachid Ouramdane mit dem Kampf seines algerischen Vaters im Indochina-Krieg blieb tänzerisch ohne jeden Nachhall.
Im Kopf dagegen haftet „Am Bildaltar“ des Berliner Duos Wilhelm Groener: Tänzer Günther Wilhelm und die bildende Künstlerin Mariola Groener entwerfen mit drei Darstellern eine oft lautlose Abfolge ikonografischer Zitate - ein kunsthistorischer Exkurs nicht ohne stille Komik.
Aus einer ganz anderen Ecke kommt das Tanzkollektiv Les SlovaKs: Die fünf in Belgien lebenden Slowaken machen aus ihrer heimatlichen Tanztradition ein Spektakel, das musikalisch wie tänzerisch ganz von den Folklore-Wurzeln lebt, ohne je folkloristisch zu werden.
Der erhoffte und erwartete Höhepunkt war die Uraufführung von Helena Waldmanns „Revolver besorgen“. So nüchtern und ergreifend zugleich hat man Demenz auf der Bühne noch kaum gesehen. Tänzerin Brit Rodemund wechselt von klassischen Tanzposen mal subtil, mal grotesk und verschreckend in die Demenz-Zustände, Tonband-Einspielungen mit Experten und Betroffenen liefern Wissen. Ein wunderbar starkes Stück.
Es gibt Hoffnung, dass es immer noch zeitgenössische Choreografen gibt, die es lohnen, ein DANCE-Festival zu veranstalten. Vorausgesetzt, man kann es sich in zwei Jahren noch leisten, sie einzuladen.
Gabriella Lorenz