Vom KZ ins Lager: Das Jüdische Museum erzählt vom Schicksal der Displaced Persons

von Achim Manthey

Gürtel von Hercz Alexander (Foto: Sammlung Esther Alexander-Imre)

In der zweiteiligen Ausstellung "Juden 45/90" berichtet das Jüdische Museum München über das Schicksal jüdischer Mitbürger nach der Befreiung aus Konzentrationslagern oder ihrer Flucht aus Osteuropa. Der erste Teil "Von da und dort - Überlebende aus Osteuropa" gibt bewegende Einblicke in eine neue Isolation der Opfer, die nur langsam aufbrach.

Hercz Alexander war so stark abgemagert, dass er nicht mehr wusste, wie er die verschlissene Häftlingskleiung am Körper halten sollte. Der Gürtel eines toten Mitgefangenen im Konzentrationslager Dachau half. Das Exponat in der Ausstellung gibt beredtes Zeugnis. Eine Fotografie zeigt, wie Überlebende in Bergen von hinterlassenen Kleidungsstücken nach etwas Passendem wühlen - die Besitzer gab es ja nicht mehr. Hinter jedem dieser Stücke stecktdas Schicksal eines Menschen, der die Nazi-Greuel nicht überlebt hatte.

Befreit und doch nicht frei

Am 29. April 1945 befreien US-Truppen das Konzentrationslager Dachau. Tausende jüdischer Überlebende der Shoa stehen zwar in Freiheit, aber doch auf der Straße. In ihre Heimatorte konnten sie nicht zurückkehren, da es sie nicht mehr gab. Sie wurden zu Displaces Persons ("DP's"), zu "Zivilisten außerhalb der Grenzen ihrer Heimatstaaten", wie es in der Definition des Hauptquartiers der allierten Streitkräfte (SHAEF) nach einem 1943 von dem Migrationsforscher Eugene M. Kulischer geprägten Begriff hieß. Menschen, die durch Krieg und Verfolgung ihre Heimat verlassen mussten und aufgrund der aktuellen Lage nicht dorthin zurückkehren konnten. Der Staat Israel war noch nicht gegründet, einer Übersiedlung nach Palästina stand die dortige Besatzungspolitik, einer Ausreise in die Vereinigten Staaten von Amerika deren restriktive Einwanderungspolitik entgegen. Wohin also?

Kleid von Haya Schwarzman (Foto: Yad Vashem Collection)

Eilig wurden in und um München, Regensburg und Bamberg Auffanglager, die sogenannten DP-camps, errichtet, in denen die "heimatlosen Ausländer" - diesen Status erhielten die DP's1949 mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland - untergebracht wurden. Immerhin sah man in Bayern davon ab, die vormaligen Konzentrationslager zu DP-Lagern umzufunktionieren, wie es bespielsweise in Bergen-Belsen geschehen war. Aber so ganz ohne die dunkelbraune Vergangenheit ging es auch hier nicht. Das Lager in Feldafing war auf dem Terrain der ehemaligen Reichsschule der NSDAP errichtet worden. Die Lagerbewohner wurden der Einfachheit halber mit den dort vorgefundenen Beständen an Uniformhemden der Hitlerjugend versorgt.

 

Zurück hinter Zäune und eigenes Geld

Die Münchner Ausstellung beschreibt in neun Stationen das Schicksal dieser Entwurzelten, zu denen  1946 auch noch etwa 100.000 osteuropäische Flüchtlinge kamen, polnische Juden zumeist, die Krieg und Verfolgung in der Sowjetunion überlebt hatten und nicht nach Polen zurückkehren konnten, da sie dort neuen antisemitischen Progromen ausgesetzt gewesen wären. Anhand einer Vielzahl von Exponaten wird das Leben der Menschen dokumentiert, die vom KZ übergangslos in die nächste Kasernierung, die nächste Isolation gerieten. Wieder eingepfercht hinter Zäunen, mißtrauisch beäugt, ungeliebt von der deutschen Bevölkerung in der Nachbarschaft. Das war nicht die Freiheit, die sie gemeint, ersehnt, sich erhofft hatten.

Mit Unterstützung des allierten Kommandos, der unmittelbar nach Kriegsende gegründeten Israelitischen Kultusgemeinde München und privaten Organisationen wie der She'arit Hapleyta ("der Rest, der entkommen ist"), die einen Baumstumpf als Zeichen hatte, aus dem ein junger Zweig der Hoffnung sprießt, bildeten sich in den Lagern bald eigene Gemeinwesen mit Selbstverwaltungen, Schulen, Theater- und Musikgruppen und Sportmannschaften. Allein die Organization for Rehabiltation through Training (ORT) bildete zwischen 1946 und 1949 mehr als 20.000 Menschen in unterschiedlichen Handwerksberufen aus. Die Hilfsorganisationen richteten in den Lagern Verkaufsstellen ein, in denen man Nahrung und Kleidung erwerben konnte. Bezahlt wurde mit Behelfs-Banknoten in Dollar. Exponate aus Deggendorf und Feldafing werden in der Ausstellung gezeigt.

Die vielen Exponate wären  profan, gäbe es nicht zu jeden einzelnen Stück ein Täfelchen, auf dem seine Geschichte und die seines Leihgebers erläutert wird. Aus Lumpen zussammengenähte Kleider und Schuhe, Kinderkleidchen, aber auch KZ-Jacken, die aufbewahrt wurden um sich immer zu erinnern an das erlebte Grauen - zu allen Ausstellungsstücken gibt es Erläuterungen, die das Verstehen und Einordnen erleichtern.

Visitenkarten (Foto: Nachlaß Dr. Dr. Simon Snapkowsi, München)

Lebn afs nay

Aufbruch gab es auch sehr bald. An Purin, dem jüdischen Befreiungsfest 1946, verkleideten sich die Teilnehmer schon als Hitler. 1947 gab es im Münchner Lenbachhaus die erste Ausstellung mit Werken von Künstlern aus der DP-Lagern. Ein "Leben aufs Neue" richteten sich manche ein, die nicht länger im Lager leben wollten. Geschäfte oder Handwerksbetriebe entstanden wie die Strick- und Wirkwaren-Herstellung von Jakob Nowotny an der Münchner Goethestraße oder das Textilhaus Wajsky, das es noch bis 2000 an der Hohenzollernstraße in Schwabing gab.

Werbeplakate, Prospekte und Korrespondenzen sind in der Ausstellung zu sehen. Auffällig bleiben die athergebrachten Typographien dieser Werbemittel, die keinen Aufbruch in der Gestaltung - Design gab es da noch nicht - erkennen ließ. Man passte sich an und wurde erfolgreich. Der Bildjournalist Alex Hochheimer, selbst eine DP, dokumentierte zwischen 1947 und 1950 das neu beginnend jüdische Leben in München. Aber auch die häßlichen Szenen gab es wieder. Antisemitische Kundgebungen, die von der Polizei auseinander getrieben wurden und Redakteure der Süddeutschen Zeitung Anfang der 1950er Jahre zu Gegendemonstrationen auf die Straße trieb.

Föhrenwald um 1955 (Foto: Stadtarchiv Geretsried/Sammlung Fechner)

Im zweiten Stockwerk des Museums führt die Ausstellung direkt hinein in das DP-Lager Föhrenwald, das im heutigen Stadtteil Waldram von Wolfratshausen aufgebaut worden war. Als letztes Lager in Deutschland wurde das Lager 1957 geschlossen. An der Grenze zu den Einfamilienhäusern der damalien Gemeide Föhrenwald blieb das abgesperrte Areal ein Fremdkörper. Die Insassen hatten den Straßen Namen nach den Befreiern gegeben, als wollten sie der Anonymität hinter neuen Zäunen etws entgegen setzen.

Viele Dokumente und Bilder geben Einblicke in das Lagerleben. Plakate mit Zeugenaufrufen des US-Militärgerichts in Nürnberg sind darunter, aber auch Briefe und Postkarten. In Audio-Video-Boxen sind Lesungen aus Texten der GP'sin verschiedenene Sprachen geboten. Und dann gibt es berührende Zeugnisse wie die Sammlung von Martin Walter, der im Ort in unmittelbarer Nähe zum Lager aufwuchs und alle Scheu überwandt, sich den Lagerbewohnern öffnete und lebenslange Freundschaften schloss. Kopien von Zeitungsausschnitten aus seinem Archiv ergänzen die Präsentation.

Vielfältig, beeindruckend, lehrreich und zuweilen beklemmend ist die Ausstellung. Kurzum: wichtig!

Bis zum 17. Juni 2012 im Jüdischen Museum München, St.-Jakobs-Platz 16, Di-So 10-18 Uhr. Zur Ausstellung ist ein reichhaltiger Katalog erschienen.

 

 

 

Veröffentlicht am: 09.01.2012

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