Schwarzweiß-Fotografien von Toshio Enomoto
Eine Tram im Blütenmeer und mehr
Randan tram passing through a row of cherry trees, Kyoto 1998 (c) Toshio Enomoto, courtesy Micheko Galerie
Eine Ausstellung in München zeigt poetische-intime, traditionelle japanische Fotokunst. Und einen Fotografen zwischen den Stühlen.
Die Tram rauscht durch ein Meer herabfallender Kirschblüten. So weit, so gut. Aber die Aufnahme aus der Reihe Kagirohi von 1998 lässt ganz unterschiedliche Betrachtungsweisen zu. Hanami, die Zeit der Kirschblüte, symbolisiert für den westlichen Betrachter Aufbruch, Neuanfang und den Beginn der warmen Jahreszeit. In japanischen Augen steht das Fallen der weiß oder blaßrosa scheinenden Blüten als Zeichen der Vergänglichkeit. Zwei Sichtweisen, wie sie unterschiedlicher kaum sein können. Aber die Aufnahme zeigt auch das Zusammentreffen von Tradition und Moderne. Diese Widersprüche sind es, die japanische Fotografie für uns so schwer fassbar machen.
Toshio Enomoto wurde 1947 in Tokio geboren, wo er auch heute lebt und arbeitet. Er sieht sich in der Tradition der japanischen Nachkriegsfotografie. Aber was macht diese Tradition aus? Um diese Frage zu beantworten, muss man in die Geschichte dieses Mediums in Japan zurückgehen.
Die 1839 in der Pariser Akademie der Wissenschaften vorgestellte Daguerreotypie erreichte schon neun Jahre später Japan. 1851, Frederic Scott Archer hatte sein Kollodiumverfahren bekannt gemacht, brach sich die Fotografie im Land ihre Bahn, die Arbeit des niederländischen Arztes van Meerdevoort, der in Nagasaki lebte und arbeitete, trug ihren Teil zur Verbreitung bei. Starke Einflüsse von deutschen Fotografen wie August Sander und den Neu-Sachlichen oder den Lichtbildnern des Bauhauses wurden erkennbar. Und doch entwickelte die japanische Fotografie durch den von ihr geprägten Minimalismus einen ganz eigenen Stil.
Cherry tree wood in Yoyogi Park after a spring storm, Tokyo 1994 (c) Toshio Enomoto, courtsy Micheko Galerie
1945 brachte eine Zäsur. Zum ersten Mal in seiner Geschichte ein verlorerener Krieg, fremdbesetzt, durch die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki fast ausgelöscht, hatte das Land seine Identität verloren, musste sowohl politsch wie gesellschaftlich und insbesondere auch künstlerisch einen Neubeginn finden. In der Fotografie prägten Tomatsu Shomei und Narahara Ikko diesen Neustart. Die "Post-Hiroshima-Generation" der Fotografen versuchte, mit ihren Bildern offene Antworten auf gesellschaftliche Fragen zu geben und die starren Strukturen Japans zu verändern. Dies musste zwangsläufig zu einem Bruch mit den überkommenen fotografischen Darstellungsformen und zu einer Emazipation von westlichen Vorbildern führen. Vorreiter war der international renommierte Araki Nobuyoshi mit seinen Aufnahmen gefesselter Frauenkörper, die Tod und Sexualität thematisierten und ästhetisierten.
Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten Enomotos lassen sich hierin nur schwer einordnen. Wir begegnen einem Fotografen, dessen Werke zwischen Tradition und Moderne verankert sind. Mit den ungekünstelten, auf das Wesentliche reduzierten Aufnahmen orientiert er sich mehr an der vor-katastrophalen Phase. Er zeigt subjektive Sichtweisen und erzählt Geschichten, die uns zunächst vertraut scheinen, wie die Bilder der Maikos und Geishas aus Kyoto. Sie bedienen allerdings die westlichen Klischees nicht wirklich, sondern bieten tiefe Einblicke in die japanische Seele, die uns ohne eingehende Befassung mit der Mentalität fremd bleibt.
Der Fotohistoriker Kotaro Iizawa führt diese Besonderheiten traditioneller japanischer Fotografie auf die Ähnlichkeit zum Haiku, einer kurzen Gedichtform, zurück, in der es meist um die kleinen, alltäglichen Dinge des Lebens geht. Toshio Enomoto hat diesen "Haiku-Sinn". Kirschbäume im Yoyogi Park nach einem Frühlingssturm auf der 1994 entstandenen Aufnahme, holzschnitthaft die männliche Gestalt im Tunneldurchgang in "Keage Tunnel" von 1978, oder die halb verdeckte Schauspielerin des Kabuki Renshijo Theaters in Shimabara auf einem weiteren Bild. Sie alle berichten von kleinen Alltagsdramen. Das macht die Ausstellung sehenswert.
Bis zum 15. Juni 2012 in der Micheko Galerie, Theresienstraße 18 in München, Di-Fr 15-20 Uhr, Sa 11-16 Uhr. Eintritt frei.