Nick Hermanns in Havanna
Fotos über eine Liebe und die Hitze nicht nur der Nacht
In der Ausstellung "Habana Mi Amor" zeigt der Fotograf in seiner Galerie den sehr persönlichen Bilderbogen über eine vergehenden Zeit und übertreibt dabei ein wenig.
Es gibt sie. Diese Liebe auf den ersten Blick, die einen wie ein Schlag trifft, fast zur Salzsäule erstarren lässt, die kurz gelebt endet und auf ewig bleiben wird, auch wenn man sich nie mehr sieht und spürt. Nick Hermanns ist das so gegangen, als er 2002 in Havanna landete. Zweieinhalb Wochen, allein, untergebracht beim Freund eines Freundes. Ausgestattet mit seiner Leica zieht er wie in Trance, betäubt von Hitze und Eindrücken durch die Straßen der kubanische Hauptstadt, schaut, fotografiert, sitzt nachts bei den Einheimischen in kleinen Bars oder mit Jugendlichen in nicht ungefährlichen Gegenden auf der Straße. Eine Lebensliebe entsteht.
Ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Dieser abgedroschene Satz kommt einem beim Betrachten des symbolträchtigen Fotos "No está lejos" ganz unwillkürlich in den Sinn. Zwei Männer stehen auf der Mauer an der Malecon, der weltberühmten Strandpromenade Havannas, und schauen hinaus aufs Meer, auf dem eine mondän erscheinende Motoryacht kreuzt. Es sind Blicke in die ferne Freiheit. Florida liegt nur 90 Meilen entfernt und ist doch unerreichbar. Im Vordergrund der lädierte Skoda der beiden, ein Modell aus den 1960er Jahren, zeigt, dass die Kubaner von ihren politischen Freunden reichlich bedacht wurden mit Gütern, die sie selbst nicht mehr brauchen konnten.
Die Bilder zeigen die Geistervilla gegenüber seiner Wohnung oder verfallende Prachtbauten vor an Plattensiedlungen erinnernder Revolutions-Architektur. Aber er findet auch Beispiele einer besonderes Form des amerikanischen Art-Deco-Stils der 1930er Jahre. In einer kleinen, engen Gasse entdeckt er die weltbekannte Upman-Zigarren-Manufactur. Und natürlich fehlen die alten, oft ebenso aufgemotzten wie maroden Straßenkreuzer nicht, wie der Studebaker mit dem Flieger als Kühlerfigur auf dem Bild "Bullet Nose". Straßenszenen sind zu sehen, die an die Kulissen amerikanischer Gangsterfilme der 1940er Jahre erinnern.
Der 1950 geborene Fotograf ist eine schillernde Figur. Grafiker von Beruf, hat er für einen Münchner Verlag Bücher produziert, war auch journalistisch tätig und hatte für eine Weile einen kleinen Laden mit amerikanischen Antiquitäten. Als Lichtbildner ist er Autodidakt. Seit einigen Jahren betreibt er die Fotogalerie im Blauen Haus in der Münchner Maxvorstadt. Hermanns ist ein Verfechter der "straight photography", die offen und ehrlich zeigt, was zu sehen ist, ohne Verschlimmerung oder Verschönerung und vor allem ohne Nachbearbeitung am Computer. Mehr Zeuge als Künstler, so sieht er sich selbst.
Die in der Ausstellung gezeigten Aufnahmen sind analog auf Schwarz-Weiß-Film entstanden. Besonders beeindrucken die Portraits der Menschen. Fischer, Fahrer von Bicitaxis, Frauen auf Treppenstufen. Freundliche und offenherzige Menschen, die sich erkennbar gern ablichten ließen: nicht reich, froh, von "denen da oben" in Ruhe gelassen zu werden, unbeeindruckt von den Parolen allerorten, ohne Hoffnung, aber nie hoffnungslos. Hierbei imponieren die kleinformatigen Arbeiten mit ihren komprimierten Stimmungen wie "Malecon I" mit dem Sonnenuntergang oder "Malecon", das die Flaniermeile der Stadt am Meer zeigt. Die Fotos dokumentieren eine Zeit, die enden wollend ist. Möglicherweise bewahren sie etwas, das jedenfalls mit einem Ende der Castro-Ära sehr schnell verschwunden sein wird.
Die Schau, ansonsten interessant und sehenswert, hat ein Manko: Sie ist zu voll. Das passiert, wenn dem Fotografen und Galeristen in Personalunion das Herz übergeht. Abgesehen von den nicht zu übersehenden Beleuchtungsproblemen, die eine doppelreihige Hängung mit sich bringt, erschlägt die Vielzahl der Motive den Betrachter. Etwas weniger wäre mehr gewesen.
Bis zum 4. August 2012 in der Fotogalerie im Blauen Haus, Schellingstraße 143/Ecke Schleißheimer Straße in München, Di-Fr. 15-19 Uhr, Sa 11-16 Uhr. Eintritt frei.