Bergmanns "Persona" im Marstall - Die Kritik
Ekstase der Verzweiflung und Gewalt - Wie ein Regiekonzept nicht aufgeht
"Guten Tag, Frau Vogler. Ich bin Schwester Alma." Vier Mal nähert sich die Pflegerin in verschiedensten Modulationen ihrer neuen Patientin. Sie erntet nicht einmal einen Blick. Die berühmte Schauspielerin Elisabet Vogler hat plötzlich aufgehört zu sprechen. Sie ist gesund - aber verweigert jeden Kontakt.
Amélie Niermeyer hat im Marstall das Drehbuch zu Ingmar Bergmanns Film "Persona" von 1966 inszeniert - mit Juliane Köhler als plappernder Alma und der russisch-israelischen Schauspielerin Evgenya Dodina als verstummter Diva. Das Besondere an dieser Koproduktion des Resi mit dem Habima-Theater in Tel Aviv: Dort werden Köhler und Dodina, die das Projekt initiiert haben, im November 2012 das Frauen-Psycho-Duell mit vertauschten Rollen spielen. Das würde man zum Vergleich gerne sehen. Denn die Schauspielerinnen sind umwerfend gut.
Nur das Regiekonzept geht nicht auf. Klar, dass die Regisseurin Strindbergschen Naturalismus vermeiden wollte - Bergmann ließ sich vom Strindberg-Einakter "Der Stärkere" inspirieren. Deshalb hat sie den Schauspieler Götz Schulte als Spielleiter installiert, der auch als Mann von Elisabet auftaucht. Seine permanenten Einmischungen, Erklärungen und Brechungen stören zunehmend das wunderbare Zusammenspiel der Frauen.
Zwei Stühle auf schlampig verlegten weißen Bodenplatten (Bühne: Alexander Müller-Elmau), ein kahler, großer Baum-Ast - das ist das Sommerhäuschen, in dem Alma verzweifelt gegen Elisabets Schweigen ankämpft. Sie will es um jeden Preis brechen - und redet sich dabei um Kopf und Kragen. Um Elisabet zu verstehen, identifiziert sie sich immer mehr mit der Frau, die mit ihrem Schweigen gegen alle Rollen-Lügen mauert.
In der schönsten Szene sitzt Juliane Köhler angetrunken fast auf Elisabets Schoß, nimmt ihr jede der stets gleichmütig neu angezündeten Zigaretten aus dem Mund und offenbart ihr Innerstes. Amélie Niermeyers Regie treibt Juliane Köhlers Alma zu schnell in die Ekstase der Verzweiflung und Gewalt - da fehlt die Annäherung an die trotz ihrer scheinbaren Ausdruckslosigkeit hellwache Elisabet. Evgenya Dodina spielt die Stärke ihrer Verweigerung mit jeder Körperfaser - eine stumme Wucht.
Dazwischen setzt die Regie Videos von Gewalt und Ghetto auf den Boden: optisch und als Zitate quasi unidentifizierbar, überflüssig und irritierend. Man würde viel lieber einfach den Schauspielerinnen zusehen.
Nächste Vorstellungen im Marstall am 24. und 25. Juli 2012, 20 Uhr, Tel. 089/2184 1940, www.residenztheater.de