Neuer Gründungsdirektor für NS-Dokuzentrum
Winfried Nerdinger steht vor wichtigen Entscheidungen
Im Bücherregal von Kulturreferent Hans-Georg Küppers steht sie noch: Irmtrud Wojak, die erste Gründungsdirektorin des im Bau befindlichen NS-Dokumentationszentrums an der Brienner Straße, deren Amtsführung so sehr zum Desaster geriet, dass sich die Stadt vor einiger Zeit zur Trennung gezwungen sah. Küppers hat ihre Biografie über den Anwalt Fritz Bauer einsortiert zwischen einem Buch mit dem Titel "Schreiben kann jeder" und dem "Operetten A-Z". Einen Hintersinn will hier niemand unterstellen, er wäre aber denkbar. Küppers wollte vielmehr den nun neu gefundenen Gründungsdirektor vorstellen, dessen Vertrag ab Oktober 2012 bis zur Eröffnung vom Stadtrat gestern (25. Juli 2012) einstimmig abgesegnet wurde. Und der in München ein alter Bekannter ist: Winfried Nerdinger (68), bislang Professor für Architekturgeschichte an der TU sowie Direktor des Architekturmuseums, ein exzellenter Fachmann für Münchens braune Vergangenheit.
Nerdinger war bereits Teil eines Professorenteams, dass nach Wojaks unrühmlichem Abgang das Ausstellungskonzept erarbeitete. In neuer Funktion als "Primus inter pares" (Küppers) steht er nun vor einer ganzen Reihe von wichtigen Entscheidungen für das Dokuzentrum: In den nächsten Tagen sollen Wettbewerbe abgeschlossen werden, um Ausstellungs-, Pädagogik- und Gestaltungs-Konzepte weiterzuentwickeln. Für die sogenannte Kunst am Bau bewerben sich internationale Künstler, deren Entwürfe im September gezeigt werden. Fest steht inzwischen, dass das Dokuzentrum eine Außenstelle bekommt, und zwar in dem einzig in Bayern erhaltenen Zwangsarbeiterlager an der Ehrenbürgstraße in Allach.
Die Eröffnung ist nun für Herbst 2014 geplant, Küppers mahnt aber: "Es geht grundsätzlich Sorgfalt vor Schnelligkeit". Nachfragen, ob es ein Problem für das Rathaus sein könnte, dass der Eröffnungstermin für das Zentrum erst nach dem der nächsten OB-Wahl liegt, beantwortete Küppers so: "Wir lassen uns nicht von politischen Terminen unter Druck setzen."
Mit dem NS-Dokuzentrums werde man "keine Museum, sondern einen Lern- und Erinnerungsort bauen", Es sei ein "in die Zukunft gerichtetes Zentrum" mit dem Motto "Erkennen - Lernen - Verstehen", das eine Antwort auf die Leitfrage geben wolle: "Was geht mich das an?"
Der Kulturreferent rechnet mit rund 150000 Besuchern im Jahr - das wäre in etwas das Level der Dokuzentren in Nürnberg und auf dem Obersalzberg. Küppers: "Das Haus kann sehr voll werden."
Die Zeit der ersten Gründungsdirektorin Wojak beurteilte Küppers nun aus einigem zeitlichem Abstand so: "Es war eine schwere Zeit für alle Beteiligten. Da wir aber eine sofortige Übergangslösung gefunden haben, hatten wir keine wesentliche Verzögerung. Es wird kein Schatten auf der Entstehungsgeschichte des Zentrums bleiben."
Der in Burgau gebürtige und in Augsburg aufgewachsene Nerdinger ist in München seit vielen Jahren eine unumstrittene Kapazität vor allem für die Vermittlung von Themen aus der NS-Geschichte. Er war eine der treibenden Kräfte, die dafür gesorgt haben, dass München nun endlich ein NS-Dokuzentrum bekommt. Die Frage, warum man ihn eigentlich nicht gleich als Gründungsdirektor genommen hat, beantwortete Küppers ausweichend mit dem Verweis auf Nerdingers bisherige Tätigkeiten: "Er hatte ja einen Job." Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass die rot-grüne Stadtratsmehrheit bei Neubesetzungen gerade im Kulturbereich die Merkmale "Frau" und "von auswärts kommend" besonders anziehend findet.
Nerdinger selbst blieb bei der Runde mit Küppers auffallend wortkarg und bemühte sich stets um größtmögliche Diplomatie. Ob er nun Genugtuung oder Freude empfinde? - "Das ist eine wichtige Aufgabe, die ich nach dem Ende der Hochschullaufbahn hoffentlich gut bewältigigen kann." Ob er die lauter gewordene Kritik am Architekturentwurf für das Zentrum kommentieren könne oder gar teile: - "Als ich die Aufgabe übernommen habe, war der Plan schon da. Der Bau an sich war sicher eine gute Wahl. Die Umsetzung ist eine Herausforderung." An der Stelle sprang sofort Küppers ein und versuchte jeden Hauch von kritischem Anklang zu überdecken: "Es ist Herausforderung und Chance!" Denn Ausblicke aus dem Gebäude auf die originalen NS-Schauplätze in der Umgebung seien nur mit der ausgewählten Architektur möglich: "Diese offene, transparente Architektur war eine bewusste Entscheidung." Wenn man sich beispielsweise in der künftigen Ausstellung über das Münchner Abkommen von 1938 informiere, blicke man dabei direkt auf den damaligen Führerbau (heute Musikhochschule), in dem der Unrechtspakt damals geschlossen worden war.
Auch zum Thema Amerikahaus, das die bayerische Staatsregierung zugunsten einer Technikakademie umwidmen will, äußerte sich Küppers, und machte auf den öffentlich noch nicht besonders wahrgenommenen Zusammenhang des Themas mit dem NS-Dokuzentrum aufmerksam: "Wir sind enttäuscht, dass es an dieser Stelle nicht mehr sein soll. Ich habe die Hoffnung aber nicht aufgegeben, dass es an seinem Platz bleibt - und dass das NS-Dokuzentrum und das Amerikahaus in Zukunft eng zusammenarbeiten können."