Saisonstart mit "Moses" im Volkstheater
Boatpeople auf dem Weg nach Zion
Das Stück könnte ein Renner vor allem beim jungen Publikum werden: Mit Simon Solbergs "Moses", einem "Mash-up-Musical", startete die junge Truppe des Münchner Volkstheaters flott, trashig und mit vielen Bezügen zur Gegenwart in die neue Spielzeit.
Sie sind Ausgestoßene, sie leben auf der Müllkippe, und noch dort sind sie unerwünscht. Da hat einer eine Idee. Er zieht ein Buch hervor, das aus den Parias eine Gemeinschaft formen und ihnen fortan eine Gebrauchsanweisung für den Kampf um die Freiheit liefern soll: Die Bibel mit dem Exodus, oder: wie ein Findelkind namens Moses die Hebräer aus Ägypten ins gelobte Land führt.
Simon Solberg ist nicht eben für übermäßig zarten Umgang mit Vorlagen bekannt. Auch sein Moses-Musical lockert er mit einem gerüttelt Maß an Krawall und Klamauk auf. Nur ist derlei diesmal deutlicher Mittel zum Zweck als in vorhergehenden Inszenierungen des jungen Bonners: Er spitzt in Szenen wie in der Übermittlung der zehn Gebote - eine zynisch inszenierte Rateshow - den Stoff zu und rafft ein Epos so auf etwas mehr als eineinhalb Stunden. Er schafft zudem Distanz zum historischen Stoff und damit Denkräume, in denen die Skepsis gedeiht. Die überlieferte Reihenfolge der Geschehnisse ändert Solberg ab, wo es passt, die Geschichte bricht er immer wieder durch Songs oder Rap-Tracks, die die Handlung in die Gegenwart zurückzuholen.
Am Anfang tut Solberg so, als spielten ein paar Gestrandete die biblische Geschichte nach. Die Stimme aus dem Dornbusch ist nichts als das Gebrabbel eines Betrunkenen, der sich wiederum als nüchtern kalkulierender Aaron entpuppt, der allerdings in Wirklichkeit Anstifter und Aufpeitscher ist. Das Problem ist: Moses glaubt an seine Mission und weiß sich geleitet von seinem Gott. Die desperate Truppe wird zum Volk der Israeliten. Es wird sich Land nehmen, das anderen Menschen gehört. Ein guter Grund wird sich schon finden lassen.
Vor allem Johannes Schäfer als Moses weiß zu überzeugen, nicht allein wegen seiner Rap-Einlagen, die viel erzählen vom Irrsinn dieser Welt und von der Wut des jungen Anführers. Um ihn herum spielen Jean-Luc Bubert, Paul Grill, Joanna Kapsch und Max Wagner Ägypter, Pharao und seine Familie und Israeliten. Das tun sie mit viel Klamauk, der den Kontrast zum naiven, erbitterten Glaubenskrieger Moses herstellt. Die Lächerlichkeit der Versuche, Egoismus und Raffgier zu verteidigen, kennt man ja aus dem wirklichen Leben. Am Ende sitzen sie wieder oder immer noch auf Halden von Müll, den Stoffwechselprodukten des Konsumwahns. Es kann aber auch ein Boot sein, das vieldeutige Bühnenbild ließe auch diese Sicht zu. Die Trash-Israeliten: es könnten Boat People auf dem Weg nach Zion sein. Oder wir, die wir uns alle auf dem Weg ins gelobte Land sehen. Die Offenheit dieses Bildes - nicht der schlechteste Moment in dieser insgesamt guten Inszenierung.
Nächste Vorstellungen am 8., 9. und 29. Oktober 2012, Karten unter 089/5234655